Spuren des Todes (German Edition)
vielleicht war ihr dann mit einem Mal bewusst geworden, dass sie das alles doch nicht wollte, die Küsse, den Sex, ihm Hoffnung machen. Deshalb die Wahrunterstellung, die Annahme, es könnte so gewesen sein.
Allerdings ließ sich die auf den weiteren Verlauf des Abends nicht anwenden, so wie Perlott ihn erlebt haben wollte. Christiane Wellbrinck habe sich rasch angezogen und das Schlafzimmer verlassen, erzählte er, um kurz darauf wieder dorthin zurückzukehren. Vermutlich sei er ihr nach nebenan gefolgt, könne sich daran aber nicht erinnern. Er wisse nur noch, dass er plötzlich die Sechs-Liter-Weinflasche in seinen Händen hielt, und dann sei alles sehr schnell gegangen. Aber nicht, weil er ohnehin vorgehabt hätte, sie umzubringen. Das sei im Affekt geschehen, er habe sich einfach nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Der viele Alkohol und die schlimmen Beleidigungen, die sie ihm an den Kopf geknallt habe – da seien ihm die Sicherungen durchgebrannt.
Das wäre dann nicht als Mord zu werten gewesen, wie es in der Anklageschrift formuliert stand, sondern als Totschlag – was Perlott einige Jahre Gefängnis erspart hätte. Doch konnte sich die Tat überhaupt so abgespielt haben?
Das Gericht hegte starke Zweifel, ich auch. Oberflächlich betrachtet mag Perlotts Version durchaus plausibel geklungen haben: Zwei Menschen hatten Sex miteinander, die Frau wollte plötzlich nicht mehr, es kam zum Streit, der Mann schlug zu. Sie war nur in keiner Weise mit dem, was von den Polizisten und auch von uns am Tatort vorgefunden – oder vielmehr
nicht
vorgefunden – wurde, in Einklang zu bringen. Außerdem wiesen Perlotts Schilderungen bei näherer Betrachtung verdächtige Lücken und zahlreiche Widersprüche auf.
Es fing damit an, dass die Tat im Schlafzimmer geschehen sein sollte – was durchaus glaubhaft schien –, die Weinflasche jedoch vorher nachweislich im Wohnzimmer gestanden hatte, und dort nicht etwa griffbereit, sondern verpackt in einer Holzkiste. Um an sie heranzukommen, musste man erst ein kleines Brett entfernen, mit dem sie am Flaschenhals gesichert war. Ganz abgesehen davon, dass sie aufgrund ihrer Größe und des Gewichts von reichlich neun Kilo nicht besonders handlich war.
Perlott hätte also vom Schlafzimmer über den Flur ins Wohnzimmer gehen, die Halterung lösen und die Flasche heraushieven müssen, um sich anschließend mit seiner schweren Fracht wieder zurück ins Schlafzimmer zu begeben. Und dort wartete das spätere Opfer in aller Seelenruhe, was als Nächstes geschehen würde – oder wie sollte man sich das vorstellen?
Wäre Christiane Wellbrinck betrunken gewesen, man hätte vermuten können, dass sie die Gefahr unterschätzte oder einfach eingedöst war. In ihrem Blut wurde aber kein Alkohol nachgewiesen. Vielleicht hatte sie im Verlauf des Abends etwas Wein getrunken, viel kann es aber nicht gewesen sein.
Auch die Möglichkeit, Perlott könnte die Weinflasche bereits vor dem Streit ins Schlafzimmer bugsiert haben, schied mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Weshalb hätte er das tun sollen? Christiane Wellbrinck hatte die Flasche vor allem als Dekorationsstück gekauft, das wusste er. Und in der Küche standen genügend andere Weinflaschen normaler Größe, die sie hätten trinken können.
Nur einmal angenommen, es wäre doch so gewesen – mit diesem Monstrum von Flasche hätte er weder überraschend noch blitzschnell zuschlagen können. Überraschend schon deshalb nicht, weil sie der Schlag frontal getroffen hatte, das konnte man an der Wunde erkennen. Christiane Wellbrinck hätte den Angriff also kommen sehen und garantiert versucht, ihm auszuweichen. Und falls er ihr diese Möglichkeit genommen hätte, etwa indem er sie vorher in eine Ecke des Zimmer drängte, sie hätte auf jeden Fall ihre Arme nach oben gerissen, um den Schlag abzuwehren, ihren Kopf zu schützen. Das wiederum hätte Spuren an ihren Händen oder Armen hinterlassen, irgendwelche Verletzungen, zumindest ein Hämatom. Doch nicht einmal die Andeutung eines Hämatoms hatte ich finden können, bei der äußeren Leichenschau so wenig wie bei der Obduktion.
Ganz zu schweigen von Blutspuren, die es dann im Zimmer hätte geben müssen, wenigstens einige Spritzer oder kleine Tropfen, an der Wand, am Schrank, auf dem Boden, irgendwo – aber da war nichts! Nicht einmal im Bett, außer an den bereits beschriebenen Stellen, was jedoch nicht auf einen Kampf hindeutete, nicht einmal auf eine Abwehrreaktion. Hätte
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