Spuren des Todes (German Edition)
mit dem anderen Kerl »rumzumachen«, wie er es ausdrückte, endeten solche Telefonate selten, ohne dass sich die beiden nicht für einen der nächsten Tage verabredet hätten.
So geschah es auch in der Nacht vor Perlotts fünfunddreißigstem Geburtstag. Die Worte, die er am Telefon losließ, mag man nicht wiederholen – und trotzdem: Am Abend darauf stand sie pünktlich zur ausgemachten Zeit vor seiner Tür. Sie schenkte ihm zwei Eintrittskarten für einen gemeinsamen Konzertbesuch, der anderthalb Monate später stattfinden sollte. Dazu hatte sie eine Glückwunschkarte mit Herzchen verziert und darunter geschrieben:
Ich wünsche Dir alles Glück dieser Welt und uns einen schönen Abend. Vergiss bitte niemals, wie lieb ich Dich habe.
Deine Christiane
Außer ihr waren einige befreundete Pärchen eingeladen. Die Party zog sich bis zum frühen Morgen. Als die Letzten gegangen waren, blieb Christiane Wellbrinck wie selbstverständlich und legte sich zusammen mit ihm schlafen. Sex ließ sie auch diesmal nicht zu, dafür revanchierte sie sich mit einer Einladung in ihre neue Wohnung, die er bis dahin noch nicht betreten hatte – gleich für den nächsten Tag.
Hin und her, so ging es ständig, als hätten die beiden jegliche Orientierung verloren und nicht mehr gewusst, wo sie eigentlich hingehörten. Für eine Trennungsphase kein untypischer Zustand, er sollte nur nicht ewig andauern.
Jemand wie Mike Perlott muss diese Situation als doppelt schlimm empfunden haben. Als hätte sich die Welt mit einem Mal gegen ihn verkehrt. Ausgerechnet die Frau, von der er sich oft eingeengt gefühlt hatte, weil es ihm vorkam, als hinge sie wie eine Klette an ihm, ließ ihn plötzlich abblitzen. Und als wäre das nicht schon Demütigung genug, hatte sie sich nicht nur
gegen
ihn, sondern gleichzeitig
für
einen anderen entschieden. Zwar behauptete sie, selbst nicht recht zu wissen, wie viel ihr der andere bedeutete. Doch mit ihm schlief sie, mit Perlott nicht. Und das war’s, was für den letztlich zählte.
Irgendwann wusste Perlott keinen Ausweg mehr. Mit ihr ging es nicht, das begriff er allmählich – aber ohne sie wollte er auch nicht sein.
Wenn es ihm besonders schlechtging, setzte er sich an seinen Computer, öffnete den Ordner » TOD «, schrieb neue Abschiedsbriefe oder änderte die, die er dort bereits gespeichert hatte – und wenn es nur ein Datum war, das er aktualisierte. In einem schrieb er:
… Ich werde eine lange Reise antreten, in eine bessere Zukunft. Auf diese Reise nehme ich Christiane mit. Das muss ich tun. Sie könnte es nicht verwinden, wenn ich sie alleine zurücklasse. Das hat sie mir gesagt. Es ist schon eine Weile her, aber ich denke, das gilt immer noch. Wir gehören zusammen. Und sie soll sich auch nicht verantwortlich fühlen. Sie fühlt sich immer verantwortlich.
Zuletzt war ich gezwungen zuzusehen, ohne etwas tun zu können. Da war der andere. Diesen Gedanken konnte ich nicht ertragen. Sie und er, das hat mich aufgefressen. Ich kann nur etwas ändern, wenn ich wieder selbst handele. Ich muss handeln, auch für Christiane. Wir gehören zusammen. Das weiß sie auch. Vielleicht verdrängt sie es gerade, aber tief in ihrem Herzen weiß sie es.
Der Tod wird uns wieder zusammenbringen, diesmal für immer.
Er wird ein Ende sein und ein neuer Anfang. Obwohl ich nicht weiß, was danach kommt. Irgendwas wird kommen.
Ich hätte gern eine Waffe aufgetrieben, um es für uns kurz und schmerzlos zu machen. Aber das war mir leider nicht möglich. Jetzt muss ich einen anderen Weg finden. Christiane soll nicht leiden.
Ich will auch nicht mehr leiden.
Wir werden dann beide erlöst sein …
Die anderen Abschiedsbriefe, die später auf Perlotts Computer gefunden wurden, ähnelten sich in den wesentlichen Passagen. Demnach schlossen seine Todesphantasien immer auch Christiane Wellbrinck mit ein. Er betrachtete sie als einen untrennbaren Teil von sich selbst. Nie schrieb er, nur allein abtreten zu wollen. Wenn er gehe, so seine krude Logik, müsse sie mit ihm gehen – was zu ihrem Besten sei, denn nur so bliebe ihr das Leid erspart. Offenbar sah er sich als den großen Erlöser.
Es gab allerdings auch Phasen, in denen Mike Perlotts Denken regelrecht von Hoffnung überschwemmt wurde. Sogar kurz vor der Tat noch, als nämlich der andere Mann für zwei Wochen zu einer Dienstreise nach Kanada aufbrach. Sofort schmiedete Perlott Pläne, die helfen sollten, Christiane Wellbrinck zu ihm zurückzuführen. Er
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