Spuren des Todes (German Edition)
damit gerechnet, dass sich das Gas so lange an und in den Körpern halten würde. Die Schwefelwasserstoff-Konzentration, die während der Leichenöffnungen in den Lungen und Atemwegen der Verstorbenen gemessen wurde, lag noch immer im toxischen Bereich, so dass auch die Obduzenten und Sektionsgehilfen die Wirkung des Gases zu spüren bekamen. Zumal sie ihre Arbeit ohne besondere Schutzvorkehrungen verrichteten. Noch ehe sie fertig waren, klagte jeder von ihnen über leichte Vergiftungserscheinungen – Augenbrennen, Übelkeit und Reizung der Atemwege.
Dem wollten wir diesmal vorbeugen, deswegen zog das Obduktionsteam, das aus meinem Kollegen Dr. Lars Oesterhelweg, einem Sektionsgehilfen und mir bestand, nach draußen. Bis die Leichen von zwei Bestattern gebracht wurden, hatten wir neben der Einfahrt des Instituts, in einem Bereich, der von außen nicht einsehbar war, ein Zelt aufgebaut und alles für eine erste äußere Leichenschau vorbereitet. Das Zelt ließen wir an zwei Seiten offen, damit es darin luftig genug war. Es war Ende August, kein heißer, aber ein angenehm milder Spätsommertag. Am blauen Himmel trieben Schönwetterwolken, hin und wieder schob sich eine vor die Sonne und verdeckte sie für ein paar Minuten.
Die Leichen wurden wie üblich in Bergesäcken angeliefert. Bevor wir beim ersten Opfer mit der äußeren Leichenschau begannen, hatten wir die Feuerwehr verständigt. Sie schickte ein mit Messgeräten ausgestattetes Team, das die Höhe der Gaskonzentration feststellen sollte, die die Leichen ausdünsteten. Auch zu unserem eigenen Schutz.
Ich war für die Obduktion des verstorbenen Betriebsleiters zuständig. Wir öffneten den Reißverschluss des Bergesacks und hoben den Leichnam von Bernd Wenzig heraus. Sein Name stand auf einem Transportformular, das einer der Notärzte der Leiche beigelegt hatte. Wenzig war mit einer blauen Arbeitshose und einem schwarzen T-Shirt bekleidet, das die Rettungskräfte bei ihren Wiederbelebungsversuchen im Brustbereich aufgeschnitten hatten. Füße und Waden steckten in schwarzen Gummistiefeln, die im unteren Bereich mit bräunlichen Erdanhaftungen und kleinen weißlichen Sprenkeln, die wie getrocknete Milchflecken aussahen, beschmutzt waren. In den Hosentaschen fanden wir verschiedene Euro- und Cent-Münzen, einen Autoschlüssel, eine Minitaschenlampe sowie ein Schlüsselbund mit acht verschiedenen Schlüsseln und einem kleinen runden Schlüsselanhänger, der auf einer Seite weiß emailliert und mit einem geschwungenen blauen »G« verziert war. Mit diesem Buchstaben begann der Vorname seiner Frau.
Anschließend entkleideten wir die Leiche. Die Rückseite des Körpers wies deutlich sichtbar blau-violette Leichenflecke auf, die ich mit dem Finger nicht mehr wegdrücken konnte. Auffällig war, dass die Leichenflecke in der Kopfregion eine andere Farbe hatten, nämlich Grün. Es war sogar ein ziemlich sattes Grün, mit einer leichten Spur ins Bläuliche. So etwas hatte ich bei einer Leiche vorher noch nie gesehen. Jedenfalls bei keiner, die noch so »frisch« war.
Eine ähnliche, aber noch intensivere Grünfärbung der Haut ist typisch für Faulleichen. So nennen wir Leichen, die erst gefunden werden und bei uns auf dem Sektionstisch landen, nachdem die Verwesungs- und Fäulnisprozesse im Körper bereits ein fortgeschrittenes Stadium erreicht haben.
Ansonsten schien Bernd Wenzigs Kopf unverletzt, zumindest soweit man das von außen beurteilen konnte. Offenbar hatte er sich noch abstützen können, während er zusammengebrochen und auf den betonierten Hallenboden gefallen war. Davon zeugten einige Schürfwunden und kleinere Hämatome, die ich an den Knien, am rechten Handgelenk und an verschiedenen Stellen beider Arme fand. Wie es aussah, könnte er zunächst auf die Knie gesunken und dann seitlich auf den linken Ellenbogen gekippt sein, bevor er mit leicht zusammengekrümmtem Oberkörper auf dem Boden landete. Die eigentliche Fallhöhe des Kopfes dürfte nur sehr gering gewesen sein.
Nachdem wir die äußere Leichenbesichtigung beendet hatten, stellte die Feuerwehr noch einmal Messungen an. Dadurch, dass wir die kontaminierte Kleidung entfernt hatten und die Leiche inzwischen gut »ausgelüftet« war, lagen die Messwerte unterhalb des bedenklichen Bereichs. Deshalb entschlossen wir uns, die innere Besichtigung nun doch in den Sektionssaal zu verlegen. Wir hätten es auch draußen machen können, aber drinnen waren die Arbeitsbedingungen natürlich um einiges
Weitere Kostenlose Bücher