Spuren des Todes (German Edition)
Bauernhof in Schleswig-Holstein, auf dem es eine Güllegrube gab, in die regelmäßig Tierfäkalien eingeleitet wurden. Sie war über eine Rohrleitung mit einem Güllesilo verbunden, das sich gleich daneben befand und wie ein nicht zu Ende gebauter Turm etwa drei Meter in die Höhe ragte, oben offen. Von der Grube konnte man dagegen so gut wie nichts erkennen. Der Landwirt, dem der Hof gehörte, hatte sie mit großen Betonplatten abgedeckt. Nur eine Stelle am Rand war offen geblieben, sie diente als Einstieg. Normalerweise lag darauf eine schwere Metallplatte, damit niemand hineinfallen konnte.
An dem betreffenden Tag, kurz vor Mittag, hievten der Landwirt und einer seiner Arbeiter die Platte beiseite. Sie wollten das Verbindungsrohr zwischen Grube und Silo reinigen und den Schieber, der auf der Seite der Grube eingebaut war und seit einiger Zeit den Dienst versagte, wieder in Gang bringen. Nachdem sie den Einstieg freigeräumt hatten, schoben sie eine Eisenleiter durch die Öffnung, bis sie auf dem Boden der Güllegrube Halt fand. Dann kletterte der Landwirt hinunter. Offenbar hatte der Achtunddreißigjährige gewusst, dass sein Vorhaben nicht ungefährlich war. Zur Sicherheit hatte er sich ein Seil um den Bauch gebunden und seinen Arbeiter angewiesen, das andere Ende gut festzuhalten und sich ja nicht von der Stelle zu rühren.
Die Grube war etwa dreißig Zentimeter hoch mit Gülle gefüllt. Darüber hatte sich eine Schicht Schwefelwasserstoff abgesetzt, die durch die Fäulnisprozesse entstanden war.
Eine Atemschutzmaske aufzusetzen, daran hatte der Landwirt nicht gedacht. Aber wahrscheinlich hätte die ihm auch nicht geholfen. Es vergingen nur wenige Minuten, dann brach er in der Grube bewusstlos zusammen und landete der Länge nach in der Gülle, sein Kopf tauchte darin unter.
Ob er vorher noch einen Hilferuf herausgebracht hatte, weiß man nicht. Denn anstatt seinen Chef sofort an dem Seil hochzuziehen, kletterte der Arbeiter ebenfalls in die Grube. Das mag in bester Absicht geschehen sein – es war ein fataler Fehler. Unten angekommen, fiel auch er um wie ein gefällter Baum. Kopf, Körper und Gliedmaßen verschwanden in der Gülle.
Die genauen Uhrzeiten ließen sich später nicht mehr eruieren, aber lange kann es nicht gedauert haben, bis die Mutter des Landwirts auf dem Hof erschien. Sie hatte in der Küche das Mittagessen zubereitet und sich gewundert, dass niemand gekommen war. In der Familie herrschten feste Tischzeiten. Sie suchte eine Weile nach ihrem Sohn, ehe sie die Leiter in der Grube entdeckte – und kurz darauf die beiden Männer, die reglos in der Tiefe lagen.
Hätte die Achtundsechzigjährige gewusst, dass sie ihnen nicht mehr helfen konnte, vermutlich wäre sie nicht hinabgestiegen. So aber starb auch sie dort unten.
Nach einer Weile kam der zweite Sohn der Bäuerin nach Hause. Er war offenbar unterwegs gewesen und hatte sich zum Essen verspätet. Da er die Küche leer vorfand, ging auch er nach draußen, um nachzusehen, wo Mutter und Bruder blieben.
Man mag es kaum glauben, aber er wurde an diesem Tag das vierte Opfer. Und das, obwohl er nicht einmal bis zum Boden der Grube hinunterkletterte. So weit kam er nicht, ihm schwanden bereits auf der Leiter die Sinne. Er wurde bewusstlos, blieb aber irgendwie an der Leiter hängen, stürzte nicht hinunter.
Als am frühen Nachmittag ein Futtermittellieferant auf den Bauernhof fuhr, anhielt und aus seinem Traktor stieg, hörte er den jungen Mann in der Grube röcheln. Der Lieferant schaltete schnell und bugsierte ihn nach oben ins Freie. Doch da war es schon zu spät. Noch bevor die Rettungskräfte eintrafen, starb er.
Der Futtermittellieferant blieb der Einzige, der ohne ernsthafte Vergiftungssymptome davonkam. Vermutlich hatte sich die Schwefelwasserstoffwolke, die durch die ersten drei Todesopfer aufgewirbelt worden war, inzwischen wieder wie eine unsichtbare Schicht auf die Gülle »gelegt«. Der Lieferant war aber auch nicht so tief in die Grube hinabgestiegen wie die anderen.
Die Leichen der vier Verunglückten wurden damals im Rahmen von Außensektionen in einem Krankenhaus in der Nähe obduziert. Der Raum, der dafür zur Verfügung stand, war weder besonders groß noch verfügte er über eine leistungsstarke Lüftungsanlage, wie sie heute in den meisten rechtsmedizinischen Instituten Standard ist. Vielleicht waren meine Kollegen, die die Sektionen durchführten, nicht besonders gut informiert worden. Oder sie hatten nicht
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