Spuren des Todes (German Edition)
waren weitere Rettungssanitäter und Notärzte eingetroffen. Minutenlang versuchten sie, die vier Verunglückten wiederzubeleben. Bei dem belgischen Lastwagenfahrer und der vierunddreißigjährigen Mitarbeiterin der Anlage gelang ihnen das. Beide wurden künstlich beatmet und, nachdem man sie für transportfähig hielt, in ein Krankenhaus gebracht.
Für Bernd Wenzig und seinen Angestellten kam jede Hilfe zu spät.
Alles deutete darauf hin, dass die Opfer schwere Vergiftungen erlitten hatten. Auch zahlreiche Einsatzkräfte klagten mittlerweile über Kopfschmerzen, Augenbrennen, Übelkeit und Erbrechen. Besonders die, die selbst in der Halle gewesen waren, wenn auch nur für einen kurzen Moment – der hatte genügt. Betroffen waren aber auch jene, die nur außerhalb der Anlieferungshalle mit den Verunglückten in Kontakt gekommen waren. Bei den Wiederbelebungsmaßnahmen hatten sie den unangenehmen Geruch von faulen Eiern wahrgenommen und offenbar giftige Gase eingeatmet, die sich in der Kleidung der Opfer festgesetzt hatten und im Freien ausdünsteten.
Wie es bei Unfällen mit sogenanntem Gefahrgut üblich ist, war die Feuerwehr mit spezieller Messtechnik angerückt. Zunächst wurde geprüft, ob auf dem Betriebsgelände Giftstoffe durch die Luft waberten. Mittlerweile hatte sich der Gestank weiter ausgebreitet. Er wurde vom Wind bis in den Ort hinübergetragen, der ein Stück entfernt lag.
Es handelte sich um ein Gemisch aus Kohlendioxid, Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Wobei der mit Abstand größte Bestandteil Schwefelwasserstoff war. Das hätte einiges erklären können, wäre es den Einsatzkräften bekannt gewesen. Das war es zu dieser Zeit aber noch nicht. Erst Stunden später fand man das heraus.
Im Freien war die Konzentration, die gemessen wurde, zwar für die Nase unangenehm, aber nicht weiter gefährlich. In der Halle jedoch lag sie deutlich höher. Und das, obwohl die Absaugvorrichtung die ganze Zeit gelaufen war. Berücksichtigte man ihre Betriebsleistung, konnte man davon ausgehen, dass zum Zeitpunkt des Unfalls der Wert eine Dimension erreicht hatte, bei der wenige Atemzüge genügen, um mindestens bewusstlos zu werden, wenn nicht gar sofort zu sterben.
Schwefelwasserstoff wirkt nach Einatmen als starkes Zellgift für die Atmungskette. Liegt die Konzentration in der Luft bei 0 , 1 Prozent, tritt der Tod nach wenigen Minuten ein. Liegt sie bei 0 , 5 Prozent, wirkt das Gift innerhalb von Sekunden tödlich. Im schlimmsten Fall ist ein einziger Atemzug schon zu viel. Die amerikanische Wissenschaftlerin Alice Hamilton verglich die plötzliche, todbringende Wirkung des Schwefelwasserstoffs vor vielen Jahren in einem Buch mit einem Blitzschlag: »Death may come on like a stroke of lightning …«
Das Tückische dabei ist, dass man den typischen Geruch nach faulen Eiern, der einen alarmieren könnte, nur dann wahrnimmt, solange das Gas in einer relativ geringen Konzentration vorkommt, die keine irreversiblen Folgen hat. Übersteigt diese jedoch einen gewissen Wert, werden die Geruchsrezeptoren betäubt, so dass man die Gefahr im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr riechen kann.
Und noch etwas macht Schwefelwasserstoff, das auch Kloakengas genannt wird, in bestimmten Situationen besonders gefährlich: Aufgrund seiner hohen Dichte sammelt sich das nicht wasserlösliche Gas am Boden beziehungsweise direkt über der Gülle, oft auch in Blasen in der obersten Schicht davon. Das bedeutet, dort ist die Konzentration auch am höchsten. Als die beiden Mitarbeiter sich in der Halle nach unten gebeugt hatten, um Bernd Wenzig und dem belgischen Fahrer zu helfen, waren sie mit ihren Köpfen förmlich in den Bereich mit der giftigsten Dosis eingetaucht. Deswegen wurden sie auch so schnell ohnmächtig.
Begünstigt wurde die Tragödie zusätzlich dadurch, dass in der Grube ein Rührwerk lief, wodurch das Gas freigesetzt und nach oben getrieben wurde, unterstützt durch den Sog, der durch die eingeschaltete Absaugeinrichtung in der Halle entstand. Doch das alles hätte möglicherweise nicht zu diesen schlimmen Folgen geführt, wäre die Grube durch die Klappe verschlossen gewesen. Das war sie an diesem Vormittag aber nicht, da der Elektromotor, mit dem sie sonst geöffnet und geschlossen wurde, nicht funktionierte.
Ungefähr zwei Jahre vor dem Unglück in der Biogasanlage hatte unser Institut mit einem ähnlichen Fall zu tun, der in seiner Tragik kaum zu fassen war. Zugetragen hatte er sich auf einem
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