Spuren des Todes (German Edition)
hatte. Sie kannte den Mann erst wenige Wochen, und sie wusste auch nicht, ob es der Richtige war, aber vor ihm hatte sich lange überhaupt niemand für sie interessiert. Als Krankenschwester im Schichtdienst und alleinerziehende Mutter hatten ihr sicher auch die Gelegenheiten gefehlt, jemanden kennenzulernen.
Mit ihren Töchtern hatte sie ausgemacht, dass sie über Nacht wegbleiben, am nächsten Morgen aber zum Frühstück wieder zurück sein würde. Auf dem Heimweg wollte sie vom Bäcker frische Brötchen mitbringen – »und dann machen wir es uns richtig schön gemütlich«, hatte sie gesagt, »nur wir drei Mädels«.
Am Morgen deckten die Mädchen den Tisch, und dann warteten sie. Als ihre Mutter zur vereinbarten Zeit nicht auftauchte, waren sie enttäuscht. Als sie zwei Stunden später immer noch nicht da war und sie sie auch auf ihrem Handy nicht erreichen konnten – das war ausgeschaltet –, schlug die Enttäuschung in Sorge um.
Aufgeregt riefen sie ihre Großeltern an, die im gleichen Viertel wohnten, nur ein paar Straßen weiter. Sie kamen sofort und versuchten die Mädchen zu beruhigen. Die Geburtstagsfeier sei sicher etwas länger gegangen, ihre Mutter habe bestimmt nur verschlafen. Doch mit jeder Stunde, die verging, ohne dass sich die Sechsundvierzigjährige meldete, glaubten sie selbst immer weniger daran. Den Freund ihrer Tochter konnten sie nicht anrufen, sie kannten weder seinen Namen noch wussten sie, wo er wohnte.
Am Abend fuhr der Großvater zur nächsten Polizeiwache und erstattete eine Vermisstenanzeige. Seine Tochter hätte ihre beiden Töchter niemals im Stich gelassen, sagte er, es müsse irgendetwas passiert sein.
Die Beamten kamen ziemlich schnell darauf, bei wem Melanie Bricksmann die Nacht verbracht hatte. Eine Kollegin im Krankenhaus hatte sich wenige Tage zuvor die Handynummer eines Anrufers auf dem Rand ihrer Schreibtischunterlage notiert; er hatte Melanie Bricksmann sprechen wollen und meinte, es sei privat. Die Nummer gehörte tatsächlich ihrem neuen Freund.
Werner Manritz, ein neununddreißigjähriger Installateur, machte gegenüber den Beamten, die kurz darauf bei ihm vor der Tür standen, keinen Hehl daraus, dass er seinen Geburtstag mit ihr gefeiert hatte und sie auch über Nacht geblieben war. Am Morgen jedoch sei sie gleich nach Hause gefahren. Um welche Uhrzeit, das wisse er nicht, auf jeden Fall viel zu früh. Er sei noch hundemüde gewesen, habe sich nur umgedreht und weitergeschlafen. Falls sie ihm nicht glaubten, könnten sie seinen Stiefbruder fragen, der sei an dem Abend dabei gewesen und habe ebenfalls bei ihm übernachtet. Dem Stiefbruder sei gar nichts anderes übriggeblieben, wurde Werner Manritz regelrecht redselig. So blau wie er gewesen sei, wäre er nicht einmal die Treppe im Hausflur unfallfrei hinuntergekommen. Sie hätten alle drei ordentlich zugelangt, ihm brumme jetzt noch der Schädel, wenn er nur daran denke.
Der zweiundzwanzigjährige Stiefbruder, der keinen Beruf erlernt hatte und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlug, meistens anscheinend auf irgendwelchen halblegalen Baustellen, konnte sich an kaum etwas erinnern. Oder er wollte es nicht. Melanie habe mit ihnen gefeiert, das stimme. Wie lange, könne er allerdings nicht sagen. Als sie gekommen sie, sei es draußen bereits dunkel gewesen. Genauso wie am nächsten Tag, als er wieder aufgestanden sei, irgendwann am Nachmittag, nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen habe. Aber zu der Zeit sei Melanie nicht mehr da gewesen. Zuletzt gesehen habe er sie irgendwann in der Nacht, vielleicht war es auch früh am Morgen, jedenfalls bevor die beiden – sie und Werner – im Schlafzimmer verschwunden seien. Er selbst habe im Wohnzimmer auf der Couch genächtigt – und geschlafen wie ein Stein.
Die meisten Tötungsdelikte sind Beziehungstaten. Und die beiden Männer waren anscheinend die Letzten, die mit Melanie Bricksmann zusammen gewesen waren. Nach dem Abend in der Wohnung ihres Freundes hatte niemand mehr die Krankenschwester gesehen. Es lag also auf der Hand, dass sich die Polizisten mit den Auskünften von Werner Manritz und seinem Stiefbruder nicht zufriedengeben konnten. Sie vernahmen die beiden mehrere Male, und mit jedem Mal fühlten sich die Kriminalbeamten etwas mehr in ihrem Verdacht bestätigt, dass sie ihnen die Wahrheit verheimlichten oder zumindest einen Teil verschwiegen.
Zwei oder drei Tage nachdem Melanie Bricksmann vermisst gemeldet worden war, startete die Polizei eine
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