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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition)
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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Institut waren damals rund zwanzig Ärzte und Mitarbeiter beschäftigt, so dass man nicht jeden Tag mit einer Obduktion betraut wurde. Es gab aber genügend andere Aufgaben: Studentenunterricht halten, auf Polizeiwachen Blutentnahmen durchführen, die Verwahrfähigkeit von in Gewahrsam genommenen Personen prüfen, Aktengutachten erstellen, vor Gericht als Sachverständiger auftreten, Untersuchungen im Rahmen der Gewaltopferambulanz durchführen.
    Eine interessante Aufgabe war es auch, wenn man – als Mitglied einer Ethikkommission – an Aufklärungsgesprächen bei Fällen von Lebendorganspenden teilnahm. Für eine Lebendspende kommt nur jemand in Betracht, der dem Empfänger emotional sehr nahesteht. Es kam vor, dass ein Patient, der ein Spenderorgan oder -organteil benötigte, jemanden mit ins Krankenhaus brachte, der ihm dieses angeblich zur Verfügung stellen wollte. Dann hatte man unter anderem zu prüfen, ob der Spender das wirklich freiwillig tun wollte oder aus einer finanziellen Notlage heraus. Oder gar weil er unter Druck gesetzt wurde. Jede dieser Varianten kam vor.
    In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Organspende nach dem Tod ebenfalls ein sehr wichtiges Thema ist. Leider gibt es viel zu wenig Organspender. Die Augenhornhäute können beispielsweise bis zu drei Tagen nach Herz-Kreislauf-Stillstand noch entnommen werden. In Deutschland gilt hierfür die erweiterte Zustimmungslösung: Wenn der Verstorbene die Zustimmung zur Gewebespende nicht zu Lebzeiten dokumentiert hat, können die Angehörigen nach dessen mutmaßlichem Willen entscheiden.
    Auch bei Organexplantationen von hirntoten Spendern ist ein Rechtsmediziner anwesend, wenn eine gerichtliche Sektion angeraten scheint. Das wäre zum Beispiel bei einem verunglückten Motorradfahrer der Fall, der schwere Kopfverletzungen erlitten hat, ansonsten aber organgesund ist. Damit die Organspende trotzdem stattfinden kann, werden wir dazugeholt, damit uns keine Befunde »verlorengehen«.
     
    Es gab auch Tage, an denen man in Krematorien die sogenannte zweite Leichenschau vornahm. Das lief ein bisschen wie Fließbandarbeit ab, denn häufig waren dreißig oder noch mehr Leichen zu besichtigen. Jeder Verstorbene, der eingeäschert werden soll, muss vorher ein zweites Mal »besichtigt« werden, von einem Amtsarzt oder einem Rechtsmediziner, so schreibt es das Bestattungsgesetz vor. Längst nicht in allen Krematorien erledigen das Rechtsmediziner, obwohl es sicherlich die klügste Lösung wäre. Die Überreste eines Verstorbenen, der in einem Sarg beerdigt wurde, kann man unter Umständen noch Jahre nach seinem Tod exhumieren und rechtsmedizinisch untersuchen, sollte aus irgendeinem Grund der Verdacht auftauchen, es könnte jemand nachgeholfen haben, ihn ins Jenseits zu befördern. Durch eine Feuerbestattung jedoch werden alle Beweismittel für immer vernichtet.
    Deshalb kommt es bei der Krematoriumsleichenschau nicht nur darauf an, zu überprüfen, ob die richtige Leiche im Sarg liegt und der Totenschein sachgerecht ausgestellt wurde, sondern noch mehr, dass man keine Verletzung oder irgendeinen anderen Hinweis übersieht, der für einen nichtnatürlichen Tod sprechen könnte. Dabei geht es um mehr als Mord und Totschlag. Auch bei Anzeichen mangelhafter Pflege, oder wenn es Spuren von Misshandlungen oder Verletzungen gibt, die durch Pflegepersonal verursacht worden sein könnten, sollte man die Leiche »anhalten« – das heißt, die Feuerbestattung erst einmal auszusetzen und so lange zu verschieben, bis alle Ungereimtheiten geklärt sind.
    Es ist die letzte Chance, einem Verstorbenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die oft genug nicht genutzt wird, glaubt man Untersuchungen, die es dazu gibt. Eines der krassesten Beispiele, das unter Rechtsmedizinern schon kursierte, als ich noch studierte, beschreibt einen Fall, bei dem ein Messer übersehen wurde, das im Körper eines Leichnams steckte. Ich schätze, die Geschichte hat sich in Wirklichkeit etwas anders zugetragen: Der Arzt wird nicht das Messer übersehen haben, sondern die komplette Leiche.
     
    Da das Institut der Universitätsklinik angegliedert ist, gehörte auch der Dienst an der Wissenschaft zu meinem Arbeitspensum. Ich verfasste Texte für Fachzeitschriften oder Fachbücher. Es gab Arbeitsgruppen, die sich mit verschiedenen Forschungsschwerpunkten beschäftigten. Außerdem übernahmen wir die Betreuung von Doktoranden.
    Ich verbrachte auch viel Zeit mit
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