Spuren des Todes (German Edition)
Noch ehe es richtig losgehen konnte, fauchte er den Vorsitzenden Richter an, er solle sich zum Teufel scheren, er habe hier niemanden in den Knast zu schicken und ihn schon mal gar nicht. Der Richter ermahnte den Angeklagten, bat um Ruhe, auch sein Anwalt versuchte ihn zu bremsen, doch das brachte Nikolai Lewtzow nur noch mehr in Rage. Er beschimpfte den Richter mit den übelsten Fäkalausdrücken und drohte ihm: »Wenn ich hier nicht rauskomme, bist du fällig!«
Schwer zu sagen, ob er sich tatsächlich nicht unter Kontrolle kriegte, oder ob er das Spektakel absichtlich veranstaltete, um sich die Anwesenheit vor Gericht zu ersparen und sich nicht anhören zu müssen, wie sie seine Taten haarklein analysierten. Und auch um den verachtenden Blicken der Zuschauer im Saal zu entgehen. Auf jeden Fall trieb er es so weit, bis der Richter ihm eine Geldbuße aufbrummte, ihn wegen ungebührlichen Verhaltens von der Verhandlung ausschloss und abführen ließ. Aber selbst beim Hinausgehen tobte er noch und schlug um sich.
Ob er sich an allen sechzehn Verhandlungstagen dermaßen wild gebärdete, kann ich nicht sagen, ich war nur an einem dabei. Doch in den Zeitungen las man kaum eine Geschichte über den Prozess, in der nicht irgendwelche Ausfälligkeiten beschrieben worden wären, die er sich wieder geleistet hatte. Er soll dem Richter sogar Briefe aus der Zelle geschrieben haben, in denen er drohte, ihn eines Tages »plattzumachen«. Er würde erst Ruhe geben, wenn er hinüber sei.
So mitteilsam er war, wenn es darum ging, seiner Wut und seinem Hass, der sich gegen alles und jeden zu richten schien, Luft zu machen, so wenig trug er zur Aufhellung seiner Taten bei. Wie vorher bei den Vernehmungen durch die Ermittler der Mordkommission, hüllte er sich dazu auch vor Gericht in Schweigen. Von einem Moment auf den nächsten wirkte es so, als hätte er die Sprache verloren. Einzig sein Anwalt gab hin und wieder etwas von sich.
Die Schwurgerichtskammer fand dennoch zu einem Urteil: Lebenslängliche Haft. Dazu ordnete sie Sicherungsverwahrung an und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Damit war das Strafmaß ausgeschöpft, mehr ging nicht.
Der Richter, der in dem Verfahren den Vorsitz führte, gehörte zu den erfahrensten am Landgericht. Er kannte sich aus mit den Abgründen menschlichen Fehlverhaltens. Doch selbst er kam zu der Feststellung: »Kaum ein Fall führt zu so einem Entsetzen wie dieser.« Der Angeklagte habe praktisch ohne Grund seinen Opfern aufgelauert und sie getötet. Allenfalls – beim Mord an Jaqueline Wentrop – sei es um so etwas wie verletzte Eitelkeit gegangen. Warum Bernhard Schlonewski sterben musste, fand auch das Gericht nicht heraus.
VIII. Aus dem Alltag gerissen
Das Leben an einem rechtsmedizinischen Institut wird bestimmt durch Dienstpläne. Sie legen den Arbeitsrhythmus fest und die Aufgaben, die man zu bewältigen hat. In Hamburg war es so, dass wir morgens als Erstes die sogenannten Verwaltungssektionen durchführten. Der Begriff »Verwaltungssektion« ist etwas schwammig, im engeren Sinne waren damit einmal außergerichtliche Sektionen gemeint, die auf Veranlassung einer Behörde erfolgten. Die Bezeichnung ist bis heute haftengeblieben, tatsächlich sind es jetzt die Fälle, die von der Staatsanwaltschaft freigegeben wurden, bei denen die Angehörigen aber ein Interesse an der Todesursache haben, oder wo von unserer Seite aus ein wissenschaftliches Interesse an dem Fall besteht und wir von den Angehörigen die Zustimmung zur Sektion erhalten haben. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Gründe. Für viele Angehörige ist es von Bedeutung, die Todesursache zu kennen, als Teil des Bewältigungsprozesses. Manche Angehörige fragen uns, ob der Betroffene kurz vor seinem Tod leiden musste. Andere möchten wissen, ob die Todesursache möglicherweise eine Krankheit war, die vererbbar ist.
Im Anschluss an die »Verwaltungssektionen« folgten die gerichtlichen Sektionen. Bei Verdacht auf Fremdverschulden werden diese staatsanwaltschaftlich beziehungsweise gerichtlich angeordnet. An den meisten Tagen standen einige davon auf dem Programm. Es handelte sich dabei um sehr unterschiedliche Fälle.
Auch Verkehrsunfälle gehörten dazu. Bei tödlich verunglückten Verkehrsopfern ist es eigentlich immer sinnvoll, eine Obduktion anzuordnen. Auch weil sich anhand der Verletzungsspuren, äußeren wie inneren, in der Regel ganz gut überprüfen lässt, ob die Aussagen des
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