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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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und zerstückelt wurde, sich gar nicht selbst, in Suizidabsicht, auf die Schienen begeben hatte, sondern bereits tot dorthin gelegt wurde. Das Gleiche gilt für Wasserleichen. Am Ufer liegen Kleidungsstücke, ordentlich zusammengefaltet, und obenauf eine Tasche mit Ausweispapieren. Man könnte denken: Hier hat sich jemand freiwillig von der Welt verabschiedet. Doch dann findet man bei der Obduktion plötzlich heraus, dass derjenige gar nicht ertrunken war, sondern erwürgt und erst als Leiche im Wasser entsorgt wurde. Solche Fälle haben wir am Institut schon einige erlebt.
     
    Eine andere Variante: Der Auftrag zur Obduktion kommt von der Staatsanwaltschaft, wurde aber durch die Familie des Toten angestoßen, indem sie gegenüber der Polizei einen konkreten Verdacht äußerte, der den Fall in ein neues Licht rückte. In meiner Anfangszeit bekamen wir einmal die Leiche eines Rentners gebracht, der abends im Treppenflur des Mietshauses, in dem er wohnte, zusammengebrochen und gestorben war. Der Mann war Ende siebzig, trug seit Jahren einen Herzschrittmacher, soll aber noch recht fit gewesen sein. Er hatte nach dem Mittagessen die Wohnung verlassen, um in die Stadt zu fahren. Das machte er gelegentlich, mal mit, mal ohne seine Frau, an diesem Tag war sie zu Hause geblieben.
    Es wurde eine äußere Leichenschau vorgenommen. Sein Körper wies keine Verletzungen auf, die ihm jemand zugefügt haben könnte. Auch für die Ermittler bei der Polizei gab es angesichts der Herzprobleme, mit denen er sich seit Jahren herumgeschlagen hatte, keinen Grund, an einem natürlichen Tod zu zweifeln.
    Doch dann meldete sich die Tochter des Toten mit einem Brief bei der Kripo. Auf drei Seiten beschrieb sie den Beamten innerfamiliäre Zerwürfnisse. Die Kurzversion ging ungefähr so: Nach dem Tod ihrer Mutter, der ersten Frau des Verstorbenen, hatte der Vater wieder geheiratet, eine Lettin, die ihm im Urlaub am Gardasee begegnet war. Anfangs änderte sich zwischen Vater und Tochter nichts. Sie telefonierten einmal die Woche miteinander und besuchten sich regelmäßig. Meistens kam sie zu ihm, da sie in Lübeck wohnte und ihm die Fahrt dorthin ersparen wollte. Mit der Stiefmutter, die halb so alt war wie ihr Vater und ihre Schwester hätte sein können, hatte sie sich nicht viel zu sagen. Vielleicht war es ein Missverständnis zwischen den beiden Frauen, aber die eine fühlte sich so wenig willkommen wie die andere. Es kam, was bei solchen Konstellationen häufiger passiert: Vater und Tochter besuchten sich seltener, ihre Telefongespräche wurden kürzer, bald riefen sie sich auch nicht mehr jede Woche an. Erst das Schweigen, dann der Streit. Irgendwann erfuhr die Tochter, dass ihr Vater einen Großteil seiner Ersparnisse an die neue Ehefrau überschrieben hatte. Es war kein Vermögen, doch allein die Geste schmerzte. Trotzdem war er noch ihr Vater, und nachdem sie die Enttäuschung einigermaßen verdaut hatte, versuchte sie, den Kontakt nicht völlig abreißen zu lassen. Hin und wieder trafen sie sich, jetzt meistens in einem Café, kaum noch bei ihm zu Hause. Anderthalb Wochen vor seinem Tod hatte sie ihn zuletzt gesehen und war erschrocken – er sah schlecht aus, hatte körperlich stark abgebaut.
    Vor allem dieser Eindruck und die Sache mit dem Geld hatte sie dann den Brief an die Polizei schreiben lassen. Darin unterstellte sie nicht, ihre Stiefmutter oder jemand anderes könnte ihren Vater auf dem Gewissen haben. Aber sie meinte, sie würde ruhiger schlafen können, wenn sich feststellen ließe, woran er gestorben sei.
    Die Staatsanwaltschaft beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, und beauftragte uns, die Leiche doch zu obduzieren. Diese Aufgabe fiel mir zu.
    Der Verdacht, jemand könnte den Tod des Mannes herbeigeführt oder beschleunigt haben, bestätigte sich nicht. Ich fand Spuren eines alten Schlaganfalls. Auch einen ausgedehnten Herzinfarkt hatte er bereits hinter sich gehabt. Sein linkes Herz war erheblich vergrößert – ein Zeichen für ein Bluthochdruckleiden. Die Arteriosklerose hatte so ziemlich alle Schlagadern erfasst, einschließlich der Herzkranzschlagadern, und war hochgradig ausgeprägt. Dazu eine chronische Linksherzschwäche. All das konnte auch der Herzschrittmacher irgendwann nicht mehr kompensieren. Die Todesursache: akutes Linksherzversagen bei ausgeprägtem chronischen Herzleiden. Die toxikologischen Untersuchungen fielen negativ aus, und er hatte auch keinen Alkohol getrunken.
     
    Am Hamburger

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