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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition)
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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dass er die vorgeschriebene Schutzbekleidung angelegt hatte.
    Die linke Hand war komplett abgetrennt, die rechte völlig zerfetzt.
    Man hätte es aus einem der vielen Bücher, die es über Explosionsverletzungen gibt, abschreiben können. Was ich vor mir hatte, war das typische Verletzungsbild, das entsteht, wenn solche Minen beim Entschärfen detonieren, und zwar in dem Moment, wenn sie in den Händen gehalten werden. Oder wenn Kinder damit spielen, das kommt leider trotz aller Warnungen immer wieder vor. Jedes Jahr werden fünfzehn- bis zwanzigtausend Menschen durch Landminen getötet.
    Auch die Beine sahen entsprechend aus: Hämatome und Abschürfungen im vorderen Bereich der Oberschenkel, tiefe fetzige Verletzungen in der rechten und linken Knieregion, auf beiden Seiten offene Trümmerfrakturen. Einzelne Knochen standen heraus, die großen Blutgefäße waren durchtrennt.
    Man konnte es förmlich vor sich sehen, wie er dort auf sandigem Boden gehockt haben musste, die Mine in der Hand …
    Bei der inneren Besichtigung stellte ich fest, dass die vorhergehende Sektion gar keine richtige gewesen war, nicht nach unseren Maßstäben. Der Körper war zwar aufgeschnitten worden, aber anscheinend nur, um einen Blick hineinzuwerfen. Derjenige, der das gemacht hatte, hatte in den Körperhöhlen nichts seziert und auch kein Organ herausgenommen. Wie es schien, waren die inneren Organe durch die Detonation nicht verletzt worden. Am ehesten hätte man vermutet, dass durch die Druckwelle die Lungen etwas abbekommen haben könnten. Doch weder war eine Unterblutung auszumachen noch irgendeine andere Verletzung.
    Ich entnahm trotzdem noch Lungengewebe für feingewebliche Untersuchungen, auch um die Möglichkeit einer Fettembolie zu überprüfen. Bei derart massiven Frakturen konnte es durchaus passieren, dass Fett aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf eingeschwemmt wurde und die kleinen Lungengefäße verstopfte. Das konnte ich später allerdings ausschließen.
    Auch das Gehirn war unversehrt geblieben, es ließen sich keine Verletzungen im Schädelinneren finden. Wie es aussah, war der Mann infolge der massiven multiplen Verletzungen verblutet.
     
    Beim Inquest kam später die Frage auf, ob man ihn hätte retten können. Sie war nicht ganz unberechtigt, zumal es fast vier Stunden gedauert hatte, bis ein Hubschrauber eingetroffen war, um ihn in eine Klinik zu fliegen. Angeblich hatte der Mann zu diesem Zeitpunkt noch gelebt, was vorstellbar war. Trotzdem sagte ich, da die Frage auch an mich gerichtet wurde, dass ich die Möglichkeit einer Rettung für äußerst unwahrscheinlich hielt. Die Verletzungen waren einfach zu schwer. Einerseits die Zerreißungen der großen Blutgefäße in den Knien. Sie mussten innerhalb kürzester Zeit zu einem erheblichen Blutverlust geführt haben. Andererseits die schweren Verletzungen an beiden Armen. So oder so wäre es äußerst schwierig gewesen, die Blutungen zu stoppen. Dafür hätte man sofort die großen Blutgefäße abbinden müssen. Aber selbst dann hätte man keine Garantie gehabt, dass er überlebt.
    Dieser Inquest setzte mir ganz schön zu. Normalerweise schaffe ich es recht gut, mich von dem Drumherum abzugrenzen, auch von den Emotionen der Angehörigen. Ich versuche immer, mich auf meinen Part zu konzentrieren, auf das Fachliche, und den Hinterbliebenen Auskünfte zu geben, die ihnen den Verlust nicht noch schwerer machen. Meine Erfahrung ist, dass sie dankbar reagieren, wenn man ihnen mit verständlichen Worten erklärt, was geschehen ist und dass es nicht zu ändern war. Das hilft ihnen, den Tod des Verstorbenen zu akzeptieren, so schmerzhaft er für sie auch sein mag. Man durchlebt in der Trauer verschiedene Phasen. Ist man dabei angelangt, das Unabänderliche als solches hinzunehmen, es zu akzeptieren, hat man einen großen Schritt bei der Verlustbewältigung getan.
    Es war schwer zu sagen, in welcher Phase sich die Witwe des getöteten Minenräumers befand. Sie wirkte völlig emotionslos, sprach mit einer Monotonie in der Stimme, als stünde sie unter starken Psychopharmaka. Hätte sie geweint wie ihre beiden erwachsenen Kinder, die ihren Gefühlen freien Lauf ließen, ihr Schmerz wäre vermutlich leichter zu ertragen gewesen. Nie zuvor hatte ich mich bei einem Inquest so anstrengen müssen, um die Fassung zu wahren und nicht in Tränen auszubrechen.
    Die Frau erzählte, wie sie ihren Mann kennengelernt hatte. Vom ersten Moment an sei er ihr Held gewesen, ein Macher, der
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