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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition)
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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für ein Mensch er war. Oder etwas über die Umstände seines Ablebens, wenn derjenige da ist, der ihn tot aufgefunden hat. Wobei die Angehörigen nicht zwangsweise dabei sein müssen, sie können sich auch von einem Anwalt vertreten lassen.
    Irgendwann bin ich an der Reihe, gebe eine Zusammenfassung der Obduktionsergebnisse. Ganz wichtig dabei ist, die Sachverhalte so darzustellen, dass sie für Laien verständlich sind. Falls er selbst keine Fragen hat, erteilt der Coroner anschließend den Angehörigen die Erlaubnis, mir welche zu stellen. Nicht wenige belastet zum Beispiel der Gedanke, dass sie den Verstorbenen vielleicht hätten retten können. Dann ist es gut, ihnen anhand der Befunde plausibel erklären zu können, dass es eben nicht so ist, er auch so gestorben wäre.
    Mitunter sind noch andere Experten zugegen, Unfallsachverständige oder Ärzte, die den Verstorbenen zuletzt behandelt haben. Bei ihnen läuft es dann genauso.
    Der Coroner entscheidet, wer vorgeladen wird. Jeder hat da seine eigenen Prinzipien. Der in Portsmouth bestellt den Rechtsmediziner, der die Sektion durchgeführt hat, fast immer zum Inquest. In North London dagegen brauchte ich bisher erst einmal zu erscheinen. Von West London werde ich drei- oder viermal im Jahr angefordert. Wenn kein Rechtsmediziner dabei ist, wird meistens nur dessen Gutachten vorgelesen, oder eine Zusammenfassung davon.
    Anstatt eines Urteils stuft der Coroner den jeweiligen Todesfall am Ende in festgelegte Kategorien ein, beispielsweise als Tod aus natürlicher Ursache, als Folge einer Berufskrankheit, von Drogenmissbrauch oder Vernachlässigung. Auch die Kategorien Tod durch Unfall oder Missgeschick und Suizid gibt es. Außerdem wird unterschieden zwischen
lawful killing
, wozu Notwehr gehört, und
unlawful killing
. Darunter fallen Mord und Totschlag und Kindstötung. Lässt sich ein Todesfall trotz Obduktion und aller möglichen Untersuchungen und Ermittlungen nirgends sicher einordnen, weil die Todesursache beziehungsweise die Kausalität letztlich unklar geblieben ist, wird er als
open verdict
betrachtet.
    Ich hatte mal einen solchen Fall – eine Frau Mitte vierzig, die sich einer Hysterektomie unterziehen musste. Den Eingriff, bei dem die Gebärmutter entfernt wurde, hatte sie ohne Komplikationen überstanden. Sie konnte das Krankenhaus bald wieder verlassen. Zwar fühlte sie sich nicht besonders, dachte aber, das seien die normalen Nachwehen der Operation, die sich mit der Zeit geben würden. Doch das Gegenteil trat ein – ihr Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Sie bekam Angst und wandte sich an ihren Hausarzt. Kurz darauf erlitt sie einen Krampfanfall, kam wieder in die Klinik, auf die Intensivstation. Aber dort konnte man ihr nicht mehr helfen – sie starb an Multiorganversagen. Die Ärzte rätselten, vermuteten eine Sepsis, also die systemische Ausbreitung eines Krankheitserregers, umgangssprachlich »Blutvergiftung« genannt, doch es ließ sich kein Keim nachweisen, der sie verursacht haben könnte.
    Bei der Obduktion entdeckte ich fleckförmige Einblutungen im Bereich des Stammhirns und am Herzen, und die Leber schien sich regelrecht aufzulösen. Die anschließenden feingeweblichen Untersuchungen zeigten, dass sich im Körper der Frau ein aggressiver Pilz ausgebreitet hatte. Im Mikroskop sah es beinahe aus, als wären es Blumen. Herz, Lunge und Nieren waren betroffen, selbst bis zum Hirn war er vorgedrungen. Meine Diagnose: Sepsis und invasive Aspergillose. Das ist eine Infektion durch Schimmelpilze der Gattung Aspergillus. Offenbar war das Immunsystem der Frau extrem geschwächt gewesen. Aber warum? Einen solchen Befund würde man bei jemandem erwarten, der AIDS  – das Vollbild einer HIV -Erkrankung im Endstadium – hat oder auf Medikamente angewiesen ist, die die körpereigene Abwehr unterdrücken, zum Beispiel nach einer Organtransplantation. Bei ihr jedoch gab es keine nennenswerten Vorerkrankungen.
    Es war also die Frage, wo sie sich die Blutvergiftung zugezogen und den Pilz eingefangen haben konnte. Da sie vorher nichts gehabt hatte, stellte für mich die Operation die einzige Erklärung dar. Möglicherweise hatte die Frau während der Narkose Sporen des Pilzes eingeatmet. Wobei das nicht erklärt hätte, warum ihr Organismus keine Abwehrkräfte dagegen hatte. Ich schrieb das auch nur als Vermutung ins Gutachten, aber schon dagegen verwahrte sich das betreffende Krankenhaus. Und Beweise gab es keine, weder für meine These
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