Spuren des Todes (German Edition)
Das erledige ich zu Hause, und dafür geht auch eine Menge Zeit drauf. Die Obduktionen werden ja genauso umfangreich und gründlich durchgeführt wie in Deutschland. Ein Großteil der Fälle, die in Hamburg als gerichtliche Sektionen eingestuft wurden, läuft hier als Coroner’s Sektion. Manche Protokolle sind recht schnell geschrieben, für andere brauche ich wesentlich länger, mitunter einen halben Tag, weil der Fall so kompliziert ist und ich auch noch feingewebliche Untersuchungen vornehmen oder Befunde aus der Toxikologie einarbeiten muss.
Oberstes Ziel der Arbeit eines Coroners ist es, die Todesursache zu klären. Um eine Obduktion anordnen zu können, benötigt er nicht das Einverständnis der Angehörigen. Er hat sie lediglich zu informieren, wann und wo sie stattfinden wird. Anders verhält es sich, sollen nach der Obduktion Organteile oder Gewebeproben asserviert werden. In Hamburg wird das bei jeder Sektion gemacht, da gehört es per Sektionsgesetz dazu, weil sich nachträglich immer Fragen ergeben können, die man erst durch weitergehende Untersuchungen klären kann. Welche Proben man auswählt, wird im letzten Punkt des Obduktionsberichts dokumentiert. »Am Ende der Sektion wurden folgende Asservate zurückbehalten …«, heißt es da. Nicht selten werden von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei gleich konkrete Untersuchungsaufträge erteilt, das wird dann dort ebenfalls vermerkt. Im Anschluss an diese Auflistung findet sich folgende Passage: »Die oben genannten Asservate verbleiben für weiterführende Untersuchungen mindestens sechs Monate in Obhut des Instituts für Rechtsmedizin – sie können danach aus Platzgründen entsorgt werden, sollten bis dahin keine Untersuchungsaufträge eingehen, die Asservate abgefordert oder um eine längere Aufbewahrungsfrist nachgesucht werden.«
In England sind Organteile- und Gewebeprobeentnahmen nur gestattet, wenn man die Todesursache anders nicht finden kann, also nicht für die Eventualität, dass später noch Fragen auftauchen könnten. Über diese Festlegung sollte man sich auch nicht hinwegsetzen, da das ständig überprüft wird. Falls es notwendig wird, Gewebe oder Organteile einer Leiche zu asservieren, um sie genauer zu untersuchen, muss die Familie des Verstorbenen informiert und mit ihr besprochen werden, was anschließend mit den Überresten geschieht. In Krankenhäusern werden sie meistens kremiert, in einer Art Sammelverfahren. Die Hinterbliebenen hätten aber auch das Recht, die Proben zurückzufordern, um sie nachträglich bestatten zu lassen. Will ein Rechtsmediziner sie für wissenschaftliche Zwecke nutzen, darf er das nur, wenn die Angehörigen damit ausdrücklich einverstanden sind.
Lässt sich die Todesursache trotz Obduktion und weitergehender Untersuchungen nicht klären, hält der Coroner am Coroner’s Court einen
Inquest
ab. Den muss man sich vorstellen wie eine Gerichtsverhandlung, nur dass es dabei nicht um die strafrechtliche Verantwortung bei einem Todesfall geht, sondern lediglich um die Umstände, also wie der Betreffende zu Tode kam. Und dass nur in bestimmten Fällen eine Jury dabei ist.
Ein solcher Inquest findet auch dann statt, wenn sich bei den Untersuchungen herausstellte, dass der Tod auf nichtnatürliche Art eingetreten ist – wie im Fall von Amy Winehouse. Und wenn jemand im Gefängnis gestorben ist, selbst wenn ein Herzinfarkt die Ursache war. Ebenso kann nach einem Tötungsdelikt ein Inquest durchgeführt werden, dann allerdings erst, nachdem das Strafrechtliche vor einem anderen Gericht geklärt wurde.
Inquests sind in meinen Augen eine überaus sinnvolle Einrichtung. Es wäre nicht schlecht, wenn es so etwas auch in Deutschland gäbe. Vor allem, weil es den Angehörigen hilft, den Tod eines geliebten Menschen besser zu verstehen. Wenn sie begreifen, was geschehen ist, fällt es ihnen meistens leichter, für sich selbst einen Schlusspunkt zu finden. Das erlebe ich immer wieder.
Ein Inquest läuft üblicherweise so ab: Zunächst stellt der Coroner fest, wer anwesend ist. Inquests sind wie andere Gerichtsverhandlungen öffentlich, jeder kann daran teilnehmen, auch Presseleute. Dann spricht er die Angehörigen des Verstorbenen an, prüft die Daten desselben – »Wann und wo geboren?«, »Zuletzt wohnhaft in …?«, all das. Und in welchem Verwandtschaftsverhältnis die Angehörigen, die sich im Saal befinden, zu ihm standen. Manchmal bittet er sie, etwas über den Verstorbenen zu erzählen, was
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