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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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nicht lamentierte, sondern die Dinge anpackte. Humorvoll sei er gewesen und voller Respekt für andere Menschen. Sie und die Kinder seien stolz, ein Teil seines Lebens gewesen zu sein, eines Lebens, das ein großes Abenteuer war. Ihr Mann habe vor jedem Einsatz gewusst, in welche Gefahr er sich begebe. Er habe es freiwillig getan, weil er Menschen wie denen im Sudan helfen wollte.
    Als die Frau erzählte, wie sie zusammen mit ihrem Mann vor dessen Abreise losgezogen war, weil er unbedingt noch einen Stapel Socken kaufen wollte, musste ich schlucken. Er hatte die Socken nicht für sich haben wollen, sondern für die Bewohner des kleinen Ortes, in dessen Nähe er und sein Team ihren Einsatz haben sollten. »Sonst müssen die Leute dort frieren, sie haben keine Socken«, hatte er zu seiner Frau gesagt.
    Selbst der Coroner kämpfte mit den Tränen. Er meinte, der Verstorbene sei ein wahrer Held gewesen. Er habe unzählige gefährliche Aufträge ausgeführt, ohne großes Aufheben darum zu machen, damit andere Menschen besser leben können. Und als es darum ging, den Todesfall einer der Kategorien zuzuordnen, entschied er auf »
unlawful killing
«. Seine Begründung: Menschen hätten diese furchtbaren Minen in die Erde getan, um andere damit zu schädigen. Deshalb könne man seinen Tod nicht als Unfall betrachten.
    In den Ohren der Zuschauer im fast vollbesetzten Saal mag es wie eine reine Formalie geklungen haben, doch für die Frau und ihre beiden Kinder war diese Einschätzung ungeheuer wichtig, damit sie ihren Frieden finden konnten. Ein Unfall, erklärten sie, hätte sich für sie angefühlt, als wäre sein Tod umsonst gewesen. Indem der Coroner ihn als »
unlawful killing
« einordnete, sagte er auch, dass sich der Zweiundfünfzigjährige korrekt verhalten hatte und nichts hätte anders machen können.
     
    Nachdem der Inquest vorüber war, der emotionalste, den ich jemals erlebt habe, blieb ich auf meinem Platz sitzen, bis alle anderen den Saal verlassen hatten. Ich war zu aufgewühlt, um gleich wieder zur Tagesordnung übergehen zu können. Die Worte der Ehefrau hallten in mir nach. In Gedanken hörte ich ihre tonlose Stimme, und ich sah die Ausdruckslosigkeit in ihrem Gesicht vor mir, das beinahe wie eine Maske gewirkt hatte. Dann dachte ich an die Geschichte mit den Socken – und konnte nicht anders, ich musste weinen.
    Später fuhr ich nach Hause, griff dort als Erstes nach meinem Saxophon, spielte eine Weile, und schon schien die Welt wieder etwas besser. Saxophonspielen hilft immer, wenn es beruflich mal nicht so gut läuft oder besonders anstrengend ist. Aber auch sonst versuche ich, meine Tage so einzurichten, dass wenigstens ein bisschen Zeit dafür bleibt. Es gibt immer Stücke, an denen ich gerade arbeite. Und wenn ich übe, zum Beispiel ein Lick bei einem bestimmten Tempo durch alle Tonarten zu spielen, während das Metronom tickt, erfordert das so viel Konzentration, dass ich alles um mich herum vergesse, dann bin ich ganz woanders.
    Manchmal spiele ich Konzerte mit Daves Septett oder in der Big Band, die er zusammen mit seinem Freund Pete gegründet hat. Die beiden kennen sich seit der Kindheit, hatten dann aber für einige Jahre den Kontakt verloren. Als sie sich vor einiger Zeit bei einem gemeinsamen Auftritt mit der
Matthew Herbert Big Band
trafen, stellte sich die alte Verbundenheit sofort wieder ein. Pete ist Arrangeur, Dirigent, spielt Trompete und schreibt Filmmusiken. Kurz darauf kamen die beiden auf die Idee, eine eigene Band aufzuziehen. Sie nannten sie
The Two Minds Big Band
, der Name ist gleichzeitig Programm. Dave und Pete dachten sich vier Stichworte aus, ich steuerte ein fünftes bei, und dazu schrieb jeder von ihnen, unabhängig voneinander, jeweils ein Stück. Alle zehn Stücke haben wir im Studio aufgenommen und dann auch erste Gigs gespielt.
    In London gibt es mehrere gute Jazzclubs. Unser Lieblingsclub ist
The 606  Club
in Chelsea. Er erinnert mich ein wenig ans
Birdland
in Hamburg, das gibt es bedauerlicherweise ja nicht mehr. Im
606  Club
spielen nicht die großen Namen der internationalen Jazzszene. Dort erlebt man hauptsächlich einheimische Musiker, das Beste, was die britische Jazzszene zu bieten hat. Dave tritt ungefähr alle zwei Monate da auf, mit seinem Quartett, das hat er auch noch – Saxophon, Klavier, Schlagzeug, Kontrabass. Dann bin ich natürlich im Publikum.
    Das
Hideaway
gefällt uns auch gut. Dieser Club befindet sich in Streatham, südlich von Brixton, wo

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