Spuren des Todes (German Edition)
wir wohnen. Dort haben wir die Premiere des Two-Minds-Big-Band-Projekts gefeiert. Wobei es generell unheimlich schwierig ist, eine Big Band in Clubs unterzubringen. Weil es nur sehr wenige gibt, die sich leisten können, eine angemessene Gage zu zahlen. Die größte Chance, als Big Band Auftritte zu spielen, hat man noch, wenn man zu einem Festival eingeladen wird. Mit der
Matthew Herbert Big Band
ist das häufiger der Fall, und ab und zu darf ich bei den Profis aushelfen, wenn kein anderer aus der Stammbesetzung Zeit hat. Einmal war es sogar so, dass ich gefragt wurde, ein Konzert mit der BBC Big Band zu spielen. Was für eine Ehre! Den Moment werde ich so schnell nicht vergessen. Bedauerlich nur, dass ich nicht konnte. Ich hatte für den betreffenden Tag schon der
Matthew Herbert Big Band
zugesagt.
Um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich verwöhnt mit dem, was ich habe. Es sind zwar nur wenige Gigs, dafür aber mit tollen Jazzmusikern. Ich bin dankbar, dass ich da mitspielen darf.
Jam Sessions gibt es hier zwar auch, nur leider ist das für mich nicht so leicht zu bewerkstelligen wie früher in Hamburg. Meine damalige Wohnung befand sich direkt über dem
Birdland
, ich brauchte nur die Treppe hinunterzugehen, um bei einer Session, die jeden Donnerstag stattfand, einzusteigen. In London finden die meisten unter der Woche statt, recht spät am Abend, und dann kommen noch die extremen Entfernungen dazu. Kurz gesagt: Die Termine passen schlecht zu meinem Tagesablauf. Dafür muss ich morgens zu früh raus.
Seitdem ich in London lebe, habe ich endlich mehr Zeit zum Üben. Wobei ich immer Hemmungen hatte, so richtig loszulegen, da Dave ja auch täglich üben muss und somit die Geduld unserer Nachbarn auf eine harte Probe gestellt wurde. Im Zweifelsfall habe ich ihm natürlich den Vorrang gelassen. Wir wohnen in einem dieser typischen viktorianischen
terraced houses
. In Deutschland würde man Reihenhaus dazu sagen. Und die Wände sind nicht gerade dick. Aber inzwischen haben wir unser Dachgeschoss zu einem schallisolierten Studio ausgebaut, seitdem können wir üben, so lange wir wollen, ohne jemanden zu stören. Immerhin, das regelmäßige Üben zahlt sich aus: In Hamburg hatte ich immer das Gefühl, auf der Stelle zu treten oder sogar schlechter zu werden. Jetzt mache ich endlich Fortschritte.
Wenn ich an die Zeit in Hamburg zurückdenke, frage ich mich sowieso, wie ich mit dem, was ich damals draufhatte, überhaupt auftreten konnte. Ich spielte in einer Big Band und in einigen kleineren Bands, habe allerdings nur selten geübt, weil ich durch die Arbeit am Institut kaum Zeit dafür fand.
Obwohl ich manchmal auch denke, dass ich mich ein bisschen hinter dem Üben und meinem eigenen Anspruch verstecke. Aber ist das ein Wunder, wenn man mit jemandem wie Dave verheiratet ist? Würde ich eines Tages nur zehn Prozent von dem können, was er kann, ich wäre mehr als happy. Dabei ist selbst er unzufrieden, weil er viele Herausforderungen sieht, immer noch mehr können möchte. Als Jazzmusiker kann man nie fertig, nie perfekt sein. Dave und ich, wir sind uns da sehr ähnlich, wenngleich auf ganz verschiedenen Ebenen, er ist mir um Lichtjahre voraus.
Die Musik, der Jazz, ist ein starkes Bindeglied zwischen uns. Für Dave ist es eine Passion und zugleich sein Job. Von meinem möchte er nicht so viel hören, was bei meinem leiblichen Vater, dem Musiker, ähnlich ist. Sensible Künstlerseelen. Das Kriminalistische an der Arbeit, wenn ein Fall spannend ist, findet Dave noch ganz faszinierend. Sich allerdings plastisch vorzustellen, was ich bei einer Sektion mache, wie ich zum Beispiel einer Leiche, die vielleicht noch extrem unangenehm riecht, Organe entnehme und diese dann untersuche … – das ist zu viel für ihn, da schaltet er doch lieber ab.
Meistens ergibt es sich ausgerechnet beim Essen, dass ich anfange, davon zu erzählen. Gar nicht in böser Absicht. Es ist nur so, dass es die Momente am Tag sind, wo wir mal in Ruhe beieinandersitzen und Zeit haben, uns über das auszutauschen, was jeder von uns erlebt hat oder was ihn gerade beschäftigt.
Lebensmittel bieten aber auch einen guten Anknüpfungspunkt. In der Anatomie und in der Pathologie werden viele Organe bei ihrer Beschreibung damit verglichen. Der Begriff »Muskatnussleber« fällt mir spontan ein. So bezeichnen wir eine Leber, die aufgrund einer Erkrankung chronisch gestaut ist. Schneidet man sie nach der Entnahme aus dem Leichnam auf, erinnert das Bild, das
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