Spuren im Nichts
das Schiff, sondern hielt sich stets in Sollys Nähe. Sie las mehr als je zuvor, hauptsächlich Bücher und Artikel über ihr Spezialgebiet, doch auch Romane und Werke von Simon Wescott, dem klassischen Philosophen des zweiten Jahrhunderts, der versucht hatte zu erklären, wie sich in einem mechanistischen Universum das Bewusstsein entwickelt hatte.
Hin und wieder, wenn sie allein war, überraschte sie sich dabei, wie sie zu dem unbekannten Besucher redete. »Ich weiß, dass du da bist«, sagte sie mit gedämpfter Stimme ins Leere, so dass Solly sie nicht hören konnte. »Warum zeigst du dich nicht endlich?«
Gegen Ende der Reise verstummten ihre Gespräche über den Besucher ganz. Sie vermieden jede Andeutung, doch die Aura lag ständig in der Luft wie die üblen Dämpfe aus einem undichten Abfallbeseitigungssystem. Es gab einfach nichts mehr zu sagen. Während der vorangegangenen drei Wochen hatte Kim nichts Ungewöhnliches mehr gesehen. Sie versuchte sich einzureden, dass alles bloß Einbildung gewesen war oder es wenigstens in einen Winkel ihres Bewusstseins zu verdrängen, wo es nicht ständig störte, genau wie ihre frühere Begegnung in Kanes Villa im Lake Remorse. Doch damals hatte sie aus dem Severin Valley flüchten können. Heute saß sie zusammen mit diesem Ding im gleichen Schiff fest.
Und so kam es schließlich zu einem unruhigen Stillhalten, zu einer bewussten Vermeidung des Themas. Ihre Unterhaltungen waren zwangsläufig eher misstrauisch als informativ, eher förmlich als intim. Es war, als hätten sie ein Rhinozeros an Bord, dessen Anwesenheit niemand wahrhaben wollte.
Am letzten Tag der Heimreise jedoch, als sie sich dem Zeitpunkt des Rücksprungs in den Normalraum näherten, brachte Solly das Thema noch einmal zur Sprache. »Es tut mir wirklich Leid, dass es so gekommen ist«, sagte er.
Seinem Tonfall entnahm sie, dass er ihr keinen Vorwurf daraus machte. »Es ist nicht deine Schuld«, entgegnete sie und unterdrückte bewusst den Ärger, der in ihr aufzusteigen begann.
»Wir müssen entscheiden, ob wir den Zwischenfall melden wollen oder nicht.«
Übersetzung: Möchtest du eingestehen, dass du Halluzinationen hattest?
Sie befanden sich beide auf der Brücke. Alles verlief nach Plan, und der Countdown zum Rücksprung lief. Solly wartete darauf, dass die Statusleuchten angingen, worauf er die Eingabetaste drücken und die Rückkehr in ihr normales Universum einleiten würde.
»Ich habe da eine Frage«, sagte Kim wie beiläufig.
»Schieß los.«
»Wenn wir den Hyperkommtransmitter benutzen – woran erkennen wir, dass er arbeitet?«
Seine Kieferknochen wurden hart. »Könntest du die Frage vielleicht anders formulieren, Kim? Wie könnte ich nicht wissen, dass ich mit dem Transmitter arbeite?«
Sie versuchte es. »Wenn wir via Hyperkomm senden, leuchtet dann irgendetwas auf deiner Konsole auf?«
»Sicher. Genau hier.« Er deutete auf zwei Leuchten über der Kommunikationskonsole. »Orange bedeutet, dass Ham mit der Übertragung begonnen hat und einen Kanal öffnet, und Grün, dass wir reden können.«
»Kannst du es vielleicht testen?«
»Was testen?«
»Das System. Dich überzeugen, dass es funktioniert.«
»Kim, warum denn?« Er blickte sie verwirrt an.
»Vertrau mir, Solly. Bitte.«
Normalerweise hätte er wahrscheinlich einfach die KI gebeten, eine Verbindung herzustellen. Doch wie die Dinge lagen, musste er die Konsole auf seinen Schoß ziehen, im Handbuch nachschlagen und ein paar Tasten drücken.
»Und?«, fragte sie.
»Das ist eigenartig.«
Keine Kontrollleuchten.
»Ein Problem?«
»Die Statuskontrollen hätten aufleuchten müssen«, sagte er.
»Wie die Dinge liegen, würden wir also nichts davon bemerken, wenn jemand den Sender benutzt?«
Er überprüfte die Dioden. Beide waren durchgebrannt. »Wie bist du darauf gekommen?«
Sie zuckte die Schultern. »Es schien eine Möglichkeit zu sein.«
Er ging zum Ersatzteilschrank und kehrte mit zwei neuen Dioden zurück. »Das hat etwas mit dem Eindringling zu tun, nicht wahr?«
»Mir gefällt jedenfalls nicht, was da geschieht, Solly.« Sie war plötzlich unendlich müde, sehnte sich nach echtem Sonnenlicht und einem echten Ozean. Die virtuellen Weiten in den Fenstern der Hammersmith reichten einfach nicht an die Realität heran. Ganz gleich, wie weit sich der Ozean in den Fenstern erstrecken mochte, sie wusste immer, dass sie in einer Kammer eingesperrt war. »Wann werden wir planmäßig andocken?«, fragte
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