Spuren im Nichts
gemacht, was Wissenschaftler schon immer gewusst hatten: dass wirklich kreative Arbeit in jungen Jahren geleistet werden musste oder niemals vollbracht werden würde. Genius verblasst schnell, wie die Rose im Hochsommer. Sämtliche genetischen Verbesserungen hatten an dieser traurigen Realität nichts ändern können.
Matt hatte sich angepasst und seine unbeendete Arbeit in jüngere Hände gelegt, um sich weniger fordernden Aufgaben zu widmen. Public Relations, dachte Kim traurig, und ihr wurde bewusst, dass ihr eigener Genius niemals durchgebrochen war. Wenn Matt auch nicht alles erreicht hatte, so war er wenigstens im Spiel gewesen. Die Menschen würden sich an ihn erinnern.
Er sah noch immer aus wie dreißig. Er besaß eine hohe Stirn, ein launisches Lächeln und eine lange gerade Nase. Sein Haar und sein Bart waren schwarz, und er war ein außerordentlich talentierter Tennisspieler.
Kim war seine rechte Hand.
Sie teilte ihm mit, dass sie für ein paar Tage unterwegs sein würde. Um ihren Zeitplan kümmerte sie sich selbst. Niemand scherte sich darum, wann sie kam oder ging, solange sie ihre Arbeit erledigte. Und ihre unmittelbare Aufgabe bestand darin, die Mitglieder der Germane Society zu überzeugen, dass das Seabright Institute ein würdiger Empfänger weiterer Spenden war.
Es wäre, sinnierte sie, gar nicht schlecht, wenn sie in den Severin Woods ein übernatürliches Wesen entdecken könnte. Es würde ein ganz neues Feld wissenschaftlicher Forschung eröffnen.
Sie fuhr früh nach Hause, legte sich eine Stunde schlafen, bereitete sich eine heiße Schokolade und ging mit dem Becher ins Wohnzimmer. »Shep«, sagte sie. »Sieh nach, ob du etwas über Markis Kane in der Zeit nach 573 herausfinden kannst.«
»Schon dabei«, antwortete die KI.
Der Himmel war grau und kalt. Ein steifer Wind wehte um das Haus.
»Es gibt nicht viel über ihn. Er war ein recht beachteter Künstler.«
»Ein Künstler? Bist du sicher, dass es der gleiche Mann ist?«
»O ja, es ist die gleiche Person. Offensichtlich besitzt sein Werk einen gewissen Ruf.«
»In Ordnung. Was noch?«
»Er verließ Greenway im Juni 579 mit Ziel Erde. Arbeitete mehrere Jahre in Kanada als Berater für Cockpitdesign. Hat sich 591 aus dem Berufsleben zurückgezogen und ging nach Old Wisconsin. Er starb 596.«
»Er hat nie wieder als Raumschiffskommandant gearbeitet? Nach der Hunter- Mission?«
»Ich kann nichts in dieser Richtung finden.«
Es war tatsächlich eigenartig. Drei Leute verschwinden. Der Vierte hängt seine Karriere an den Nagel.
Nichts mehr erinnerte an Severin Village, mit Ausnahme von ein paar aus dem See ragenden Dächern. Der See war entstanden, als der Damm eingerissen worden war. Der See mit dem durchaus passenden Namen Remorse war recht groß, an der breitesten Stelle mehr als zwanzig Kilometer, und von Wäldern umsäumt. An manchen Stellen häuften sich entwurzelte Bäume.
»Shepard«, sagte sie, »bring mich dorthin.«
Das Wohnzimmer löste sich zu einem Seeufer auf.
»Wetterbedingungen?«
»Frühlingshaft. April. Meinetwegen auch Regenschauer.«
Kims Sessel stand direkt am Ufer. Der Wind wurde stärker, und zwei Männer in einem kleinen Fischerboot steuerten das Land an. Eine Regenwand bewegte sich über den See hinweg in Kims Richtung. Nahe dem Ufer durchbrachen Schornsteine und Ziegelmauern die Wasseroberfläche.
Sie saß lange Zeit dort. Da sie nicht für eine Stimulation angezogen war, würde der Sturm keine spürbaren Auswirkungen auf sie haben, und die Illusion würde ruiniert werden. Also ließ Shepard den Regenschauer im Norden vorbeiziehen.
Nirgendwo waren künstliche Lichter, mit Ausnahme einer Laterne in dem Fischerboot. »Wo liegt die nächste Stadt, Shep?«
»Eagle Point, etwa dreiunddreißig Kilometer, siebzehntausend Einwohner.«
Eagle Point. Dort waren einige von Kanes Skizzen ausgestellt, in der Gould Art Gallery.
Sie zögerte. Dann: »Shep, ich möchte mit Emily reden.«
Die Elektronik der KI murmelte. »Bist du sicher, Kim?« Es war Jahre her.
»Tu, was ich dir sage, Shep.«
Die Beleuchtung wurde hell, dann wieder dunkel. Kim saß immer noch am Ufer des Lake Remorse. Doch sie war nicht mehr allein.
»Hallo, Kimberley.« Emily trug die gleiche lässige Kleidung wie Kim, ein luftiges weißes Top und weite Pants. Beide waren barfuß. So war es nie gewesen, als Kim früher ihre verlorene Schwester heraufbeschworen hatte. Damals war sie eine Heranwachsende gewesen, die mit einer Frau
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