Spuren im Nichts
gesprochen hatte. Heute waren sie ebenbürtig.
»Hallo, Emily. Es tut gut, dich wiederzusehen.« Die Jahre hatten den Schmerz des Verlustes nicht gelindert. Vielleicht hatte es mit der Tatsache zu tun, dass man nie einen Leichnam gefunden hatte. Kim hatte die Hoffnung niemals aufgegeben, dass ihre Schwester, ihr anderes Selbst, irgendwann zurückkehren würde.
»Du siehst mich doch in jedem Spiegel. Wie geht es dir?«
»Ganz gut. Ich arbeite beim Seabright Institute.«
»Wundervoll! Was machst du?«
»Public Relations. Ich kümmere mich darum, dass Gelder hereinkommen.«
»Wie bitte?«
»Es ist nicht das, was ich eigentlich wollte. Aber ich bin gut in meinem Job, und die Bezahlung ist auch nicht schlecht.«
»Freut mich, das zu hören.« Emily setzte sich auf einen umgekippten Stamm. »Ich bin überrascht, mich hier wieder zu finden. Ist etwas passiert?«
»Nein. Ja. Erinnerst du dich an Yoshi Amara?«
»Selbstverständlich. Sie war unser viertes Besatzungsmitglied während der letzten Reise der Hunter.«
»Einer meiner alten Lehrer hat mich angerufen. Wie sich herausgestellt hat, ist er mit Yoshi verwandt.«
»Tatsächlich? Was wollte er?«
»Er möchte, dass ich Nachforschungen wegen ihres Verschwindens anstelle.«
»Oh.«
»Was ist mit dir passiert, Emily? Wohin um alles in der Welt bist du in jener Nacht verschwunden?«
»Ich wünschte, ich wüsste es. Ich wünschte es wirklich.« Mit der Ferse zeichnete sie eine Linie in den Sand. »Was kannst du seiner Meinung nach unternehmen, was nicht bereits irgendjemand getan hat?«
»Du kennst die Geschichten über den Mount Hope.«
»Ich weiß, dass Markis niemals versuchen würde, eine Brennstoffzelle zu stehlen. Oder wenigstens, dass er es schaffen würde, wenn er es wollte, und nicht jeden in der Nähe in die Luft jagen würde.«
Kim beugte sich auf ihrem Sessel vor. Sie hätte Emily so gerne umarmt, sie an sich gedrückt, um ihr unausweichliches Verschwinden in den Schatten zu verhindern. »Sheyel sagt, im Tal geht irgendetwas Eigenartiges vor sich. Er ist der Meinung, dass ihr etwas mit zurückgebracht habt. Und es ist auf freiem Fuß.«
Emily seufzte. »Was soll ich dazu sagen? Dein früherer Lehrer sollte sich nicht erlauben, so zu sprechen.«
Kim blickte an ihr vorbei auf den See. »Emily, hattest du jemals Grund, einem der anderen zu misstrauen? Kane oder Tripley?«
»Nein«, antwortete sie. »Kile war ein wenig unberechenbar. Trotzdem hätte ich ihm mein Leben anvertraut. Ohne zu zögern.«
»Und Kane?«
»Markis war ein Mann, wie man ihn nur einmal im Leben trifft. Ich hoffe, dass du eines Tages genauso viel Glück hast, Schwester.«
»Was ist mit Yoshi?«
»Yoshi … Ich kann die Frage nicht wirklich beantworten, weil ich sie vor der Mission kaum kannte. Sie schien in Ordnung zu sein. Ein wenig oberflächlich vielleicht, aber sie war auch noch sehr jung.«
Sie hatten schon einmal über das Verschwinden gesprochen, Jahre zuvor. Und es war unwahrscheinlich, dass Shep der Simulation in der Zwischenzeit neue Informationen eingefüttert haben könnte. Und doch half es ihr beim Nachdenken, wenn sie Fragen an Emily formulierte.
»Ich habe mich einverstanden erklärt, mit Solly zum Severin Valley zu fliegen.«
»Warum?«
»Um nachzusehen, was auch immer das ist, was ihr mitgebracht habt.«
»Ich hoffe nur, Solly ist ein guter Begleiter. Weil du ansonsten nämlich einen ziemlich langweiligen Trip vor dir hast.« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Außerdem ist es dort oben kalt.«
Kim spürte nur die Wärme ihres Wohnzimmers. »Ich vermisse dich, Emily. Ich wünschte, du wärst wieder bei mir.«
»Ich weiß. Es tut mir Leid. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, alles noch einmal zu machen. Mit einem anderen Ergebnis.«
3
Als ich dasaß und dem Astronomen lauschte,
der voll Begeisterung im Vorlesungssaal sprach,
Wie bald und unerklärlich ich müde wurde
und überdrüssig;
Mein Geist erhob sich und glitt davon,
und ich wanderte hinaus
In die geheimnisvolle feuchte Nachtluft,
und von Zeit zu Zeit
Blickte ich hinauf zu den Sternen
und ihrem vollkommenen Schweigen.
- WALT WHITMAN, Leaves of Gras, 1865 A.Z.
Das monatliche Essen der Germane Society fand immer am ersten Samstag eines Monats statt, im Pioneer Hotel im Stadtzentrum von Seabright. Die Society förderte begabte Studenten mit umfassenden Stipendien und bot denjenigen Rat und emotionale Unterstützung, deren unaufhaltsamer Abstieg begonnen hatte.
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