Spuren im Nichts

Flug zum Severin Valley einen limonenfarbenen zweimotorigen Starlight gemietet. Sie gingen hinauf zum Dach und stiegen ein.
    »Ich dachte, wir fahren mit dem Zug?«, fragte sie.
    »Wir fahren andauernd mit irgendwelchen Zügen«, antwortete er. »Ich fand es zur Abwechslung einmal nett zu fliegen.«
    »In Ordnung. Was hältst du davon, wenn wir zuerst Eagle Point besuchen und uns dort ein Zimmer nehmen?«
    Er aktivierte die Magnetkissen. Der Flieger hob vom Landefeld ab und beschleunigte in Richtung Westen.
     
    Kim hatte einen großen Teil des vorangegangenen Abends damit verbracht, Legenden und Überlieferungen über Severin zu studieren. Es gab tatsächlich Geschichten von Erscheinungen, eigenartigen Lichtern und Stimmen im Wald. Sie waren schon lange vor dem Unglück vom Mount Hope da gewesen. Allerdings schienen sich die Ereignisse danach zu häufen, auch wenn vieles auf die Bemühungen von Bewohnern des nahe gelegenen Eagle Point zurückzuführen war, mehr Touristen in die Gegend zu locken.
    Severins größte Bedeutung vor dem Unfall hatte darin bestanden, dass der berühmte Markis Kane dort wohnte. Künstler, Kriegsheld, Raumschiffskommandant und einziger Überlebender der Hunter.
    Und Fan von Eve Colons klassischer Detektivgestalt Veronica King. Kane hatte eine Amtsperiode als Präsident der Scarlet Sleeve Society absolviert, einer Gruppierung, die Veronica King zugetan war und sich nach einem ihrer bekannteren Abenteuer benannte.
    Während des Krieges zwischen Greenway und Pacifica, dem einzigen interstellaren Konflikt in der menschlichen Geschichte, war er Captain der berühmten 376 gewesen und hauptsächlich wegen seines Angriffs auf die Hammurabi bekannt, dem einzigen Großkampfschiff, das je von einer einzigen Eskort-Korvette ausgeschaltet worden war.
    Als der Krieg zu Ende ging, verließ Kane die Flotte und verbrachte ein halbes Jahrhundert damit, als Kommandant verschiedener Schiffe zwischen den Neun Welten und ihren verschiedenen Außenposten hin und her zu fliegen. Seine Akte war beispielhaft. Es hatte niemals eine Beschwerde seitens eines Auftraggebers gegeben, keine Probleme irgendwelcher Art. Seine Mannschaften waren über alle Maßen loyal, und niemand schien auch nur ein böses Wort über ihn sagen zu wollen.
    Kim benutzte die KI des Starlight, um sich Fotos zeigen zu lassen: Kane in der Pilotenschule auf dem irdischen Mond, Kane als junger Lieutenant bei Greenways Verteidigungsstreitkräften, Kane als Kommandant eines Schleppers, Kane in Ausgehuniform. Sie fand sechs Hochzeitsfotos und sechs verschiedene Bräute, eine Anerkennungsurkunde von der Severin Valley Art Society, ein Bild seiner Abschlussklasse, Kane mit achtzehn und einem Grinsen im Gesicht, das ans Boshafte grenzte. Sie fand mehrere Auszeichnungen (für die Bergung eines Frachtschiffs, dessen Maschinen eine explosive Dekompression durchlaufen hatten, für die Rettung eines verirrten Kindes während eines Hochwassers in Severin, für die Rettung eines Selbstmordkandidaten, der bereits auf dem Fenstersims gestanden hatte).
    Er liebte verzierte Hemden und weite Hosen, die er in Halbstiefel stopfte. Und auffällige Jacken mit breiten Schärpen. Auf späteren Fotos, nach seiner Zeit bei der Tripley Foundation, trug er einen schwarzen Bart und schulterlanges Haar. Irgendetwas an dem Mann in späteren Jahren war dunkler, intensiver geworden. Der ältere Markis Kane blickte mit einer Mischung aus Verachtung und Resignation aus seinen Fotos.
    Und da war Kane der Künstler. Seine veröffentlichten Arbeiten bestanden hauptsächlich aus Porträts, Landschaften und ein paar experimentellen Gemälden. Der größte Teil der Porträts zeigte Frauen. Eines davon, datiert auf das Jahr 575, zwei Jahre nach der Hunter, schockierte sie.
    »Das bist du!«, sagte Solly.
    »Mein Gott!« Es war Emily.
    »Er hat deine Schwester als Modell benutzt?«
    Sie blickte erneut auf das Datum. »Mehr oder weniger. Er muss ein Virtual benutzt haben. Dieses Bild ist zwei Jahre nach ihrem Verschwinden entstanden.«
    Emily posierte in der Nähe eines Fensters, durch das man auf einen spätsommerlichen Wald hinaussah, der Rasen schwer mit Blättern, über den Bäumen eine beringte Welt. Sie trug eine Jacke lässig über den Schultern, und eine Brust war frei. Trotzdem war nicht der kleinste Hinweis auf eine erotische Absicht zu erkennen. Stattdessen sah Emily zugleich wunderschön und verloren aus. Das Werk trug den Titel Herbst.
    »Du siehst ein wenig freizügig aus oben