Spuren im Nichts
herum«, bemerkte Solly.
Herbst war, wie verschiedene andere Werke auch, in einer Galerie in Eagle Point ausgestellt. Es war vielleicht nicht verkehrt, einen Blick darauf zu werfen. »Warum hat er immer noch Emily als Modell benutzt?«, wunderte sie sich.
Sollys Gesicht sah grünlich aus im Schein des Instrumentenpaneels. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so etwas tut, es sei denn …«
»Was?«
»Ich würde sagen, er hat sie geliebt.«
»Oder sie war noch am Leben.«
»Oder beides«, sagte er. »Es wäre immerhin eine Möglichkeit.«
Eine Geschichte aus dem Jahr 576, drei Jahre nach dem Unglück, berichtete, wie Kane seine Schulden bezahlt, seine Konten gelöscht, seinen wenigen Freunden Lebewohl gesagt und zugesehen hatte, wie das Wasser des Severin seine Villa verschlang. Das war, als sie den Damm eingerissen hatten. Kane war nach Terminal City gezogen.
Der Flieger überquerte den Takonda River, der mehr oder weniger die Mitte von Equatoria markierte. Ungefähr zur gleichen Zeit flogen sie in eine Schlechtwetterfront, und der Nachmittag wurde kalt. Solly war in gesprächiger Stimmung und spekulierte über den Mount Hope und dass er wirklich hoffte, sie würden dort draußen etwas finden. Kims Gefühle waren eher gemischt; sie hätte zwar zu gerne das alte Geheimnis enträtselt und alles getan, um herauszufinden, was Emily zugestoßen war. Auf der anderen Seite jedoch verspürte sie nicht die geringste Lust, dem zu begegnen, was Sheyel aufgeschreckt hatte.
Sie flogen tiefer in das Zwielicht. Die Landschaft wurde zunehmend rauer. Ringsum erhoben sich Berge. Der Sturm gewann an Heftigkeit, und Turbulenzen schüttelten den kleinen Flieger. Solly stieg höher, bis sie auf die Wolken hinuntersehen konnten.
Schließlich weitete sich das Panorama, und unter ihnen lagen Felder, Farmgebäude, Silos und kleine Seen. Sie beobachteten einen Zug, der sich durch die heraufziehende Dämmerung über die Baumspitzen bewegte. Dann kam wieder Waldland, hin und wieder ein einzelnes Haus, oder, was Kim merkwürdig erschien, ein Tennisplatz oder Swimmingpool. Natürlich gab es nirgendwo Straßen.
Mehr als fünfundsiebzig Prozent der Bevölkerung Greenways lebte in kleinen Städten, die sich über Tausende von Inseln verteilten oder in den Wäldern Equatorias versteckten. Das halbe Dutzend Großstädte der Republik war die Domäne derer, die eine Karriere verfolgten oder einen Partner suchten. Der Rest der Welt war vollauf damit zufrieden, umgeben von Bäumen und Blumen zu leben, einmal am Tag den ankommenden Zug zu beobachten und die Nachmittage mit Angeln zu verbringen.
Nach einheimischen Standards war Eagle Point eine kleine Metropole. Die Stadt erstreckte sich auf beiden Ufern des Severin, dreiunddreißig Kilometer nördlich vom Mount Hope. Die beiden Hälften waren durch zwei atemberaubende Brücken miteinander verbunden, die nach den Worten der Bewohner Touristen von ganz Greenway anzogen. Eagle Point besaß darüber hinaus eine Reihe hochklassiger Skipisten, natürliche heiße Quellen, einen großartigen Wanderweg siebenhundert Meter oberhalb von Dead Man’s Gorge, sieben große Kasinos sowie die Cartoonist’s Hall of Farne.
Sie trafen in der Abenddämmerung ein, landeten auf dem Dach des Gateway Inn, brachten ihr Gepäck auf die Zimmer und ließen sich den Weg zur Gould Art Gallery beschreiben, die einen Block vom Hotel entfernt auf ebener Erde lag. Als sie dort ankamen, fanden sie einen Mann in einem dicken schwarzen Pullover, der gerade einen Kunden bedient hatte. Obwohl keinerlei äußerliche Anzeichen auf sein fortgeschrittenes Alter deuteten, bewegte er sich mit einer Bedächtigkeit, die vermuten ließ, dass er bereits weit in seinem zweiten Jahrhundert war. »Sind Sie Mr. Gould?«, fragte Kim.
Der Mann lächelte freundlich und verneigte sich leicht. »Ja«, sagte er. »Bitte nennen Sie mich Jorge. Möchten Sie vielleicht etwas Heißes zu trinken?«
Sie bedankten sich für ein Glas Cidre, und Kim stellte sich und Solly vor. Gould hatte Lisa Bartons Evening on Lyra in der Ausstellung. Es war ein Beispiel für die empyreanische Schule, eine Stilrichtung, die ihre Effekte durch die Verwendung außerweltlicher Themen erzielte. Der Barton war ein Selbstporträt und zeigte die Künstlerin in einem Lehnsessel in einer eindeutig lebensfeindlichen Mondlandschaft. Sie war in die Betrachtung eines Kugelsternhaufens versenkt, der über einem Kamm ganz in der Nähe schwebte. Kim hatte gelesen, dass der
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