Spuren im Nichts
dass niemandem etwas geschieht.«
Seine Stimme verlor ein wenig an Schärfe. »Ich weiß, dass Sie es gerne richtig machen wollen, Dr. Brandywine. Doch es scheint uns, dass wir mit diesen Anstrengungen ein wenig zu anmaßend sind.«
Der Kellner kam und brachte Wein. Kim erhob ihr Glas auf die Theosophical Society. Bruder Kendrick zögerte. »Ich denke, unter den gegebenen Umständen wäre dies unangemessen. Lassen Sie uns stattdessen auf Ihre Gesundheit trinken, Dr. Brandywine.«
Der Wein schmeckte schal. »Ich kann Ihnen versichern, dass wir alles nur Menschenmögliche getan haben«, beharrte sie.
»Nur das Experiment haben Sie nicht gestoppt.« Kendrick trug ein weißes Hemd mit einem grauen Schlips und grauem Jackett. Seine Augen waren von der gleichen Farbe, und überhaupt strahlte der Mann ein Grau aus, das den Gedanken nahe legte, er hätte alles Menschliche abgelegt und sei durch nichts mehr zu schockieren. Kim bekam jedenfalls die volle Wucht seines moralischen Gerichtsspruches zu spüren. »Als die Menschen die erste Wasserstoffbombe getestet haben«, sagte er, »da herrschte nicht wenig Besorgnis, die Explosion könnte eine Kettenreaktion auslösen und den gesamten Planeten vernichten. Die Wissenschaftler waren der Ansicht, dass die Wahrscheinlichkeit für ein derartiges Ereignis minimal sei, also gingen sie das Risiko ein. Sie riskierten alles, was wir jemals waren, und alles, was wir jemals werden könnten.« Er betrachtete sein Glas, dann kippte er den Inhalt in einem Zug hinunter. »Dr. Brandywine«, sagte er, »wie unterscheidet sich die Handlungsweise des Instituts von dem, was die damaligen Wissenschaftler getan haben?«
»Es gibt niemanden in diesem Gebiet«, wiederholte Kim. »Niemanden, dem wir Schaden zufügen könnten.«
Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster auf Kendricks graue Gesichtszüge. »Lassen Sie uns hoffen, dass Sie sich nicht irren.«
Kim war froh, als sie wieder in ihr Büro zurückkehren konnte. Als Matt fragte, wie das Treffen gelaufen sei, klagte sie, dass Bruder Kendrick nicht von seiner Meinung abzubringen war. Kein noch so vernünftiges Argument über die Bedingungen, die für die Entstehung organischer Moleküle notwendig waren, schien ihn auch nur im Geringsten zu berühren. »Er hat tatsächlich behauptet, dass alle unsere Bemühungen inadäquat wären und dass es Sicherheit nur hätte geben können, wenn wir überall selbst nachgesehen hätten. Überall!«
»Das tut mir Leid«, sagte Matt. »Aber wir mussten es zumindest versuchen.«
»Das nächste Mal können Sie selbst hingehen.«
»Ich war schon beim letzten Mal dort.« Er trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch. »Ich hatte gehofft, dass er ein wenig empfänglicher gegenüber weiblichem Charme ist.«
»Jedenfalls sind Sie mir jetzt etwas schuldig«, sagte Kim.
Matt nickte. »Ich lade Sie morgen zum Mittagessen ein. Übrigens, Solly hat versucht, Sie zu erreichen.«
Solly war zurzeit in einem Seminar, und sie musste bis zum Nachmittag warten, bevor sie mit ihm reden konnte. Sein Bild erschien auf ihrem Schirm, als sie gerade nach Hause fahren wollte. »Bis jetzt kein Glück«, sagte er.
»Mit den Archiven? Ich dachte, du hättest Verbindungen dorthin?«
»Sie sind im Augenblick alle ziemlich integer. Offensichtlich haben sie einen von ihren eigenen Leuten dabei überrascht, wie er Gelder des Archivs in die eigene Tasche gewirtschaftet hat.« Er zuckte die Schultern. »Tut mir Leid.«
Am Abend war sie auf Calico Island mit einem jungen Mann zum Essen verabredet, den sie bei den Sea Knights kennen gelernt hatte. Er gehörte zu jener neuen gesellschaftlichen Schicht, die weder nach Karriere strebte noch ein Leben in ungezügelter Muße verbrachte. Heutzutage gab es eine ganze Reihe von Menschen, die einen Mittelweg gefunden hatten, auf dem sie sich von allem fern halten konnten, was ihr Leben in Routine verwandelte, und stattdessen akademische oder andere Interessen verfolgten. Sie verbrachten ihre Zeit mit Dramen oder Schach oder Wallball. Sie bereisten die Strände dieser Welt, falls ihre Mittel dies zuließen. Das Leben war kurz, argumentierte der junge Mann beim Essen, auch wenn es heutzutage länger dauerte als jemals zuvor. Er hatte sich der Suche nach der Marmora verschrieben, einer Maglev-Brigg, die irgendwo in den mittleren nördlichen Breiten auf der anderen Seite Greenways untergegangen war.
»Wenn es mir gelingt, die Marmora zu finden«, sagte er, »dann war mein Leben nicht
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