Spuren im Nichts
Stimmen gehört. Da hatte sie gewusst, dass Emily nie wieder kommen würde.
Offensichtlich hatten sie von Anfang an angenommen, dass sie Emily nicht lebend wieder finden würden. Morde waren auf Equatoria ein seltenes Verbrechen; im Durchschnitt gab es weniger als ein halbes Dutzend jährlich, und das bei einer Bevölkerung von sechs Millionen. In der Regel waren häusliche Streitereien der Auslöser, doch hin und wieder gab es auch einen Irren. Der Lukas-Killer, so genannt wegen seiner Vorliebe, biblische Ferse bei den Leichen seiner Opfer zurückzulassen, hatte zwei Jahre lang im Nordwesten sein Unwesen getrieben und dabei insgesamt sieben Menschen ermordet. Er war der übelste Verbrecher der modernen Zeit gewesen.
Was am schlimmsten für Kims Eltern gewesen sein musste, war, dass das Rätsel niemals gelöst wurde. Emilys Leichnam wurde nie gefunden.
Angesichts dieser Tatsache – was bedeutete da schon eine kleine Bestechung?
Sie tippte Sollys Nummer ein, und er erschien auf dem Schirm, nicht halb so überrascht, wie sie es eigentlich erwartet hätte.
»Können wir es einrichten?«, fragte sie.
Er blickte sie missbilligend an. »Läuft meine hübsche Gefährtin jetzt Amok?«
»Ja«, antwortete sie. »Wenn es unbedingt sein muss. Was ist? Können wir es einrichten?«
»Ich kenne jemanden«, sagte er.
»Wie viel wird es kosten?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ein paar Hundert. Lass mich ein paar Anrufe erledigen. Ich melde mich dann wieder bei dir.«
Kim war mit einem Vertreter der Theosophical Society zum Mittagessen verabredet, einem Bruder Kendrick. Diesmal lautete ihr Auftrag nicht, Fördermittel loszueisen, sondern die Society zu beruhigen, dass das Leuchtfeuer keine langfristigen gesundheitsschädlichen Auswirkungen zeitigen würde, und sie zugleich davon zu überzeugen, ihre offene Opposition gegenüber dem Institut aufzugeben.
Sie aßen im Kashmir’s, dessen Küche sich auf die Sebastian Island Chain spezialisiert hatte. Bruder Kendrick gab der Sorge der Society Ausdruck, dass die Serie von Novae ein Gebiet von ungefähr acht Millionen Kubiklichtjahren permanent unbewohnbar machen würde.
Kim wies darauf hin, dass es im Zielkasten, wie die Techniker das Gebiet nannten, sowie in dessen weiterer Umgebung keinerlei menschliche Siedlungen gab.
»Und was ist mit nicht-menschlichen Siedlungen?«, fragte Bruder Kendrick.
Die Frage brachte sie für den Augenblick aus der Fassung.
Bruder Kendrick war wie fast jeder andere Bewohner Greenways von undefinierbarem Alter. Doch er neigte zum Predigen, anstatt zu reden. Aus seinem Verhalten sprach eine kaum verhüllte Herablassung, seine Augen blieben ununterbrochen an ihr haften, und es war nicht zu übersehen, dass er mit kontrolliertem Zorn sprach. Er trug einen kurz geschnittenen schwarzen Bart und lange Haare. Die Theosophen gehörten nicht zu jenen, die sich den wechselnden Moden beugten.
»Es gibt niemanden in dieser Region«, sagte sie. »Wir haben eine gründliche Suche durchgeführt, um ganz sicherzugehen …«
»Und wie viele Sternensysteme gibt es im fraglichen Gebiet?«
»Mehrere Hundert«, sagte sie.
»Mehrere Hundert.« Es klang, als grenzte die schiere Zahl an ein Sakrileg. »Und wir haben tatsächlich alle Welten in all diesen Systemen untersucht?«
»Nicht in allen«, gestand sie. »Die meisten dieser Systeme besitzen mehrere Sonnen und können aus diesem Grunde keine planetaren Körper in stabilen Umlaufbahnen bilden. Andere haben keine Planeten in der Biozone …«
»Dr. Brandywine!« Er richtete sich auf, bis er nur noch aus Bart, Augen und Rückgrat zu bestehen schien. »Die Wahrheit ist doch, dass wir über den Ursprung des Lebens immer noch fast nichts wissen, daher erscheint es mir als ein wenig voreingenommen, so zu tun, als könnten wir auch nur mit annähernder Sicherheit sagen, welche Bedingungen für die Existenz von Leben erforderlich sind! Wir wissen mit Sicherheit nur dieses: dass nämlich mehrere Hundert Sternensysteme im Verlauf des nächsten Jahrhunderts in gewaltigen Mengen von Strahlung gebadet werden. Möglicherweise zerstören wir genau das, wonach wir vorgeblich suchen.«
Der Kellner kam herbei. Kim bestellte sich einen Salat. Diese Konfrontation hatte ihr den Appetit gründlich verdorben. Bruder Kendrick bestellte sich Cabana-Aal mit Reis.
»Bruder Kendrick«, sagte sie, »wir waren uns von Anfang an der Gefahr bewusst, und wir haben mehr als vierzehn Jahre intensiv gearbeitet, um sicherzustellen,
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