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Spuren im Nichts

Spuren im Nichts

Titel: Spuren im Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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umsonst.«
    Er klang wie Kile Tripley.
    Oder wie Emily, jetzt, wo sie genauer darüber nachdachte.
    Vielleicht wie sie selbst?

 
10
     
     
    Männer sind so schwerfällig und erliegen so leicht den Begierden des Augenblicks, dass der, der auf Täuschung aus ist, stets ein allzu williges Opfer finden wird.
    - NICCOLÒ MACHIAVELLI, Der Prinz, 1513 A.Z.
     
    Kiles verwitwete Mutter, Sara Tripley Barnes, lebte heute in Eagle Point, wo sie auch schon zum Zeitpunkt des Unglücks gewohnt hatte. Eine Datenbanksuche erbrachte mehrere Treffer und zwei Bilder aus jüngerer Zeit. Sie zog sich gerne formell an und war selbst im fortgeschrittenen Alter noch eine atemberaubende Frau. Ihre Haltung verriet, dass sie sich dessen durchaus bewusst war.
    Sara war Präsidentin eines Clubs für Architektur, der einen jährlichen Preis für den besten Entwurf eines öffentlichen Gebäudes verlieh. Sie gehörte außerdem zum Vorstand der Tupla University, und sie nahm noch immer aktiv an Gymnastikwettbewerben teil. Kim betrachtete ein VR, das Sara bei einem Wohltätigkeitsdinner zeigte, wo sie sich bemühte, die Teilnehmer zur finanziellen Unterstützung eines Bauvorhabens zu bewegen. Ihr Vortrag war ein wenig schwerfällig, dachte Kim, aber erschreckend aufrichtig.
    Kim suchte im Verzeichnis nach Saras Nummer, steckte einen der virtuellen Projektoren des Instituts ein und ging zu einer öffentlichen Kommunikationszelle, um sicherzustellen, dass man sie nicht mit dem Anruf in Verbindung bringen konnte. Sie wählte ein Modell aus dem Inventar des Projektors, eine große, rothaarige, aristokratisch aussehende Frau, dann tippte sie Saras Nummer ein und schaltete die visuelle Übertragung ab, eine Frage der Höflichkeit, wenn man bei einer Fremden anrief.
    Die Haus-KI nahm den Anruf entgegen.
    »Hallo«, sagte Kim. »Mein Name ist Kay Braddock. Ich würde gerne mit Sara Baines sprechen.«
    »Dürfte ich fragen, in welcher Angelegenheit?«
    Kim zögerte. »Ich arbeite an einem Buch über das Severin Valley«, sagte sie. »Soweit ich weiß, war Sara Baines eine Augenzeugin der Katastrophe vom Mount Hope. Also habe ich mich gefragt, ob sie vielleicht bereit wäre, mir ein paar Minuten zu opfern und über Einzelheiten zu sprechen.«
    Die KI bat sie zu warten, und Kim wand sich unbehaglich. Zuerst Bestechung, und dann das hier. Was würde als Nächstes kommen? Einbruch?
    Dann hörte sie Saras Stimme. »Kay Braddock?«, fragte Sara mit perfekter Aussprache. »Ich denke nicht, dass ich Ihren Namen schon einmal gehört habe.«
    »Ich bin wahrscheinlich noch nicht so bekannt«, antwortete Kim. »Mrs. Baines, ich freue mich, dass Sie Zeit gefunden haben, mit mir zu sprechen.«
    Kims visuelles Signal leuchtete auf. Vor Sara erschien in diesem Augenblick das Bild einer vornehmen Rothaarigen. »Warum wollten Sie ausgerechnet mit mir sprechen?«, fragte Sara Baines.
    »Ich habe sie letztes Jahr an der Tupla gesehen. Sie sprachen vor den Absolventen über das Ausbauprojekt. Sie haben auf mich den Eindruck einer aufmerksamen Beobachterin gemacht, und Sie schienen sehr besorgt um das Wohlergehen und die Geschichte unserer Gesellschaft.«
    »Danke sehr«, antwortete Sara Baines, »das ist sehr freundlich von Ihnen.« Sie aktivierte ihr visuelles Signal. Kim sah eine Frau in einem grauen Polynex-Sessel mit einer schwarzen Katze im Schoß. Sie war groß, besaß klare Augen, wirkte ernst und daran gewöhnt, Verantwortung zu tragen. Gleichzeitig schien sie über die Möglichkeit erfreut, an einem Buch mitarbeiten zu dürfen. »Was für ein Buch schreiben Sie? Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch unveröffentlichtes Material über die Katastrophe vom Mount Hope geben könnte.«
    »Die Sichtweise einer Frau. Ich interessiere mich für die Spätfolgen bei den Familien der Opfer.«
    »Oh«, sagte sie. Ihre Stimme klang mit einem Mal spröde, was Kims aufsteigende Schuldgefühle alles andere als abmilderte. »Darüber kann ich Ihnen allerdings einiges erzählen.« Sie klärte Kim darüber auf, dass sie genau genommen keine Augenzeugin gewesen sei, sondern unmittelbar nach der Explosion ins Severin Valley geflogen und dort eingetroffen war, als es noch überall gebrannt hatte. Sie sprach allgemein über die ersten Stunden nach der Katastrophe, über die Verzweiflung, die sie beobachtet hatte, die Leichen, die Panik, den schieren Schock, dem alle erlegen waren. Sie vermied die Schilderung ihrer eigenen Gefühle angesichts der Tatsache, dass ihr eigener

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