Spurlos in der Nacht
ist?»
Der alte Mann blickte ihn verständnislos an.
«Die Zeitungen haben viel darüber geschrieben. Es war im März.»
«Tut mir Leid», sagte der Mann und blickte ihn ängstlich an. «Ich beliefere einfach die Adressen, die mir angegeben werden. Und niemand hat mir gesagt, dass Haus Nr. 51 nichts mehr bekommen soll.»
«Kostet das Essen etwas?» Cato Isaksen blickte zu den dunklen Fenstern im ersten Stock hoch.
«Man zahlt einen kleinen Unkostenbeitrag», sagte der alte Mann bereitwillig. «Aber der ist wirklich sehr gering. Meinen Sie, ich soll hierhin nichts mehr liefern?»
«Nein, das nun wirklich nicht», sagte Cato Isaksen. «Machen Sie nur weiter so.»
Der alte Mann nickte skeptisch, grüßte kurz und schleppte sich dann wieder zu seinem Auto. Dann setzte er einen Meter zurück, fuhr los und verschwand in Richtung Deichplatz.
Cato Isaksen betrachtete die Alufolie. Er schaute auf die Uhr. Es war zehn nach vier Uhr. Alf Boris Moen hatte sicher noch keinen Feierabend. Das Essen wurde kalt. Ob er es abends selber verzehrte? Hatte er den Tod seiner Mutter nicht gemeldet, weil er das Essen behalten wollte?
Aus einem Impuls heraus drehte er sich um und schaute in den gegenüber gelegenen Garten. Ihm fiel eine Gestalt auf, die hinter dem Vorhang im ersten Stock stand. Der Ermittler drehte sich wieder um und tat so, als ob er diese Gestalt nicht gesehen habe. Er ging zu seinem Wagen zurück und stieg ein. Auf diese Weise konnte er im Rückspiegel alles mit verfolgen. Die Vorhänge bewegten sich jetzt ruhig hin und her. Eine neugierige Nachbarin, dachte er. Eine neugierige alte Dame. Er kannte sich mit neugierigen alten Damen aus. Manchmal konnten die durchaus wichtige Auskünfte liefern. Er beschloss, mit ihr zu sprechen. Das konnte ja schließlich nichts schaden.
Er musste zweimal klingeln, ehe sie öffnete. Er hörte ihre vorsichtigen Schritte auf der Treppe, dann machte sie sich am Schloss zu schaffen, ehe sie die Tür aufmachen konnte. Sie schaute ihn durch den Türspalt misstrauisch an. Cato Isaksen stellte sich vor und zeigte ihr seinen Dienstausweis. Sie sah noch immer unsicher aus, öffnete die Tür dann aber doch.
«Ich muss Ihnen ein paar Fragen über Ihre Nachbarin Brenda Moen stellen», sagte er.
Zu seiner Überraschung reagierte die alte Dame mit spürbarer Verärgerung.
«Das hat ja wirklich lange gedauert», sagte sie. «Sie wollten doch gleich am nächsten Tag kommen. Ja, es ist nicht so, dass ich viel weiß», fügte sie hinzu. «Ich bekomme ja auch nicht alles mit. Aber Sie hatten es versprochen.»
«Tatsächlich», sagte Cato Isaksen. «Aber wir haben doch vor einigen Monaten alle Nachbarn befragt. Da muss doch auch jemand mit Ihnen gesprochen haben?»
«Das schon», sagte sie. «Aber als sie keine Zeit hatten hereinzukommen, war es mir dann auch egal.»
Cato Isaksen ging langsam hinter der alten Frau die Treppe hoch. «Haben Sie sich damals im März als Zeugin gemeldet?», fragte er.
«Ja», sagte sie kurz. «So ein junger Spund hat meinen Namen notiert, aber richtig ernst genommen haben sie das offenbar nicht.»
Cato Isaksen sprach sein Bedauern aus. Als sie die Wohnung erreicht und er sich zum dritten Mal für die Nachlässigkeit der Polizei entschuldigt hatte, schien sich die Laune der alten Dame ein wenig zu bessern. Im Licht der Fenster konnte er sie besser sehen. Sie war wirklich alt, hoch in den Achtzigern oder vielleicht sogar über neunzig. Ihr runzliges Gesicht wirkte zu groß für ihren schmächtigen Körper. Sie hatte versucht, sich die Augenbrauen zu schminken, was ihr aber nicht so recht gelungen war. Die schweren Ohrringe ließen ihre Ohrläppchen grotesk lang aussehen.
Cato Isaksen trat an das Fenster mit den Spitzengardinen. Er konnte nicht warten. Die Frau, Frau Adamsen, wollte Kaffee machen, und er dachte, es könne sich empfehlen, hier nichts zu überstürzen, weshalb er dankend annahm und vorgab, die vielen Porzellanfiguren auf der Fensterbank zu betrachten. «Reizend», sagte er.
«Von meinem Mann gekauft und bezahlt», sagte Frau Adamsen auf dem Weg in die Küche.
Ein großer Baum streckte seine Zweige über den kleinen Garten hinaus und verdeckte durch seine herbstbunten Blätter teilweise die Sicht. Aber nicht im März, dachte Cato Isaksen. Im März haben die Bäume keine Blätter.
Als Kaffee und Plätzchen und altmodische Bonbons mit kleinen Lakritzstückchen serviert worden waren, begann er behutsam, sie über die Nachbarschaft auszufragen. Er
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