Spurlos
und drängte sich an der Frau vor ihr in der Schlange vorbei zum Zeitungsstand.
Erneut Erdbeben in Darwin
stand da auf der ersten Seite der Northern Territory News.
Das Erdbeben … damals … die Hochzeit ihrer Schwester. Wie oft war das alles schon in ihrem Kopf abgelaufen? Es war noch früh am Morgen gewesen, als sie ihrer Schwester die Haare föhnte. Beth, Sallys beste Freundin, war gerade eingetroffen, um die Braut zu schminken. Tamara erinnerte sich, dass sie zuerst das Klappern der Nagellack- und Parfümfläschen auf dem Glastisch bemerkte. Dann hörte sie das leise Klirren der Scheiben und spürte den Boden unter sich zittern.
„Ein Erdbeben! R aus, kommt raus hier!“ Beth stürzte aus dem Haus auf die Straße. Ihre Schwester schoss vom Stuhl hoch, kreidebleich im Gesicht und schrie: „Warum heute?“ Sie packte Tamara am Handgelenk und zog sie mit nach draußen. Tamara erinnerte sich, dass sie selbst keine Angst hatte. Nicht zum ersten Mal erlebte sie ein Erdbeben, und keins war besonders heftig gewesen. In den Hauswänden hatten sich Risse gebildet, oder hin und wieder waren Scheiben geplatzt oder Bücher aus den Regalen gefallen. Aber das war schon alles gewesen. Auch diesmal blieb sie ruhig, und selbst als das Zittern der Erde zu einem Rucken und Stoßen wurde, war sie davon überzeugt, dass es gleich vorüber sein musste.
„Miss?“ Die junge Frau an der Kasse lächelte sie an.
Jetzt erst bemerkte sie, dass sie zwar die Waren auf das Band gelegt, aber keine Anstalten gemacht hatte, zu zahlen. Sie gab der Kassiererin die Kreditkarte und murmelte eine Entschuldigung.
„Das war ein schlechtes Zeichen!“, hatten später einige Gäste vor der Kirche getuschelt. „Ich würde an so einem Tag nicht heiraten.“
Grübelnd lud Tamara die Plastiktüten in den Wagen.
7
Evelyn Fitzpatrick saß vor einem schneebedeckten Berggipfel. Hinter ihr erstreckte sich ein weites Tal mit einem dichten grünen Wald. Shane musste zugeben: Die Kollegen in Auckland hatten sich reichlich Mühe gegeben, um für eine schöne Dekoration zu sorgen.
„Verstehen Sie mich, M rs. Fitzpatrick?“
Sie nickte.
Shane warf einen Blick nach links, wo Vicky und der Techniker am Mischpult saßen.
„Danke, dass Sie sich gemeldet haben.“ Shane merkte, dass er den Hals angestrengt nach vorn zum Mikrofon reckte. Im fensterlosen Videoraum war die Kamera auf ihn gerichtet und würde der Zeugin in Neuseeland sein Brustbild zeigen. Allerdings konnte er ihr nicht ein solch dekoratives Hintergrundbild bieten.
Costarelli hatte sich entschuldigt, er habe einen Arzttermin, und hinzugefügt: „Nichts Schlimmes.“ Shane hatte darauf verzichtet, nach Details zu fragen. Costarelli würde sowieso nur abwinken. Allerdings konnte er nicht verbergen, dass seine Gesichtsfarbe deutlich grauer geworden war. Aus seinen Augen war der Glanz gewichen. Costarelli war krank, das stand fest.
Evelyn Fitzpatrick war einunddreißig, geschieden und arbeitete als Webdesignerin. Sie hatte feine Gesichtszüge, blondes Haar und wache Augen. Ingesamt machte sie einen gefassten, konzentrierten und keineswegs nervösen Eindruck.
Nachdem sie sich vorgestellt hatte, ließ Shane sie ihre Geschichte erzählen.
Es war an Weihnachten vor vier Jahren gewesen. Sie hatte mit Freunden in deren Wohnung mitten in der City von Auckland gefeiert. Um halb zwölf war sie dort weggegangen, weil sie sich nicht gut gefühlt hatte. Seit Tagen war sie schlapp und sie glaubte, sich eine Erkältung geholt zu haben. Auf dem Weg von der Wohnung der Freundin zu ihrem Wagen sprach sie ein Mann mit einem Stadtplan in der Hand an. Er war weder betrunken noch aggressiv, er behauptete, einen Freund besucht und sich nun auf dem Weg zu seinem Wagen verlaufen zu haben.
Sie beugte sich gerade über den Stadtplan, als er sie von hinten packte, ihr ein Tuch mit einem stechenden Geruch auf die Nase drückte – und in ein Auto zerrte. Dann konnte sie sich erst wieder an den Moment erinnern , als sie die Augen aufschlug und in den Sternenhimmel sah. Als sie sich aufrichtete merkte sie, dass er ihr die Bluse aufgerissen hatte und dass rings um sie herum Bäume standen. Doch von dem Mann keine Spur mehr. Als sie in der Ferne Motorengeräusche hörte, versteckte sie sich, weil sie glaubte, er käme zurück, bis ihr klar wurde, dass die Geräusche von einer Straße kommen mussten. Sie rappelte sich auf und irrte im Dunkel durch einen Wald. Im Morgengrauen stieß sie endlich auf den Highway, wo ein
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