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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Halo
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– und ein Brennen.
    »Pater Johann! Pater!«
    Jemand rief ihn bei seinem Namen; laut, entschieden, aber auch irgendwie liebevoll besorgt. Doch warum wurde er geschlagen?
    Langsam aber sicher wurde er wütend, dachte an Widerstand. Diese Schläge wollte er nicht länger erdulden; nicht ohne Gegenwehr. Mehr und mehr Details konnte er inzwischen wieder erkennen, und nur noch vereinzelt durchzogen kleinere schwarze Punkte in wirren Bahnen sein Sichtfeld. Entsetzt registrierte er eine dunkle Gestalt, die regelrecht auf ihm saß wie ein Reiter auf seinem Pferd. Jemand beugte sich zu ihm herunter, kam näher, ganz nah. Dunkelheit. Etwas Warmes berührte seine Lippen.
    »Jetzt reicht’s!«, dachte er. Mit aller Kraft drehte er seinen Körper zur Seite hin, konnte sich so seinem Peiniger entwinden. Kälte durchdrang ihn – und Nässe. Dann, Sekunden später, glaubte er eine erste Vorstellung davon zu haben, was passiert war: Er musste am Steuer zusammengesackt sein. Einer dieser Anfälle, die in den letzten Wochen verstärkt aufgetreten waren. Schwester Marie hatte ganz offensichtlich den Wagen stoppen können und ihn vom Gurt befreit, ihm hier im Schnee Erste Hilfe leisten wollen. Wie gut, dass er sich auf den Professor, auf seinen Freund verlassen konnte. Wie gut, dass er heute einen Termin bekommen hatte. Es wurde höchste Zeit, den Medikamentencocktail wieder anzupassen. Auf die besondere Gnade, die ihm zuteilwurde, wollte der Pater um keinen Preis verzichten. Doch er musste die Bilder aus Vergangenheit und Zukunft steuern können. Ohne Kontrolle würde es gefährlich, für ihn und sein Umfeld. Er wollte den Zeitpunkt weiterhin selbst bestimmen, auch wenn die eben stattgefundene Offenbarung aus einem längst vergangenen Jahrhundert seine These stützte, die Prophezeiung eindrucksvoll untermauerte.
    Langsam erhob er sich und klopfte den Schnee von seinem schweren Winteranzug. Neben ihm die junge Novizin, unmittelbar dahinter der BMW; sie waren allein.
    »Dem Auto ist hoffentlich nichts passiert?«, fragte der Pater leicht schmunzelnd die sichtlich verstörte Novizin, und beruhigt nahm er wahr, wie sich deren Gesichtszüge langsam normalisierten.

18
    Dank gut gestreuter Straßen hatte die Fahrt – allen Widrigkeiten zu trotz – deutlich kürzer gedauert als zunächst angenommen. Mit einer halben Stunde Verspätung erreichten sie ihr Ziel und stiegen aus. Kalt war es, aber nicht eisig. Die morgendlichen Sonnenstrahlen brachen sich an den verspielten Außenkanten des glänzenden Krankenhausdaches, tauchten das erst kürzlich umgebaute Hauptgebäude in ein Gesamtkunstwerk aus Vergangenheit und Moderne.
    »Auf dem Schild steht ›Nur für Personal‹. Das haben Sie gesehen, oder?«, fragte Marie leicht aufgeregt.
    »Keine Sorge, Schwester. Ich darf das.« Pater Johann zwinkerte ihr gelassen zu. »Das ist mein Stammplatz. Ich parke immer hier!«

    Ein lauter Schlag. Wasser und Schneematsch spritzten. Die Beifahrertür fiel fest ins Schloss. Marie war nicht das erste Mal in dem alten BMW mitgefahren. Und so war der kräftige Stoß von ihr gewollt – die Tür würde ansonsten nicht richtig schließen, daran erinnerte sie sich. Dass sie die restliche Fahrt allerdings erneut als Beifahrerin hatte bestreiten müssen, war ungewollt geschehen. Doch was hätte sie tun können? Wie selbstverständlich hatte der Pater sich nach seinem Ohnmachtsanfall wieder ans Steuer gesetzt; als wäre nichts passiert. Und Marie? Marie hatte geschwiegen. Da hatte etwas Eindeutiges in den Augen des Paters gelegen, neben der Gelassenheit in dessen Gesichtszügen: absolute Entschlossenheit.
    Der Pater ging voran. Auf halber Strecke drehte er sich plötzlich um. »Atmen Sie nochmal tief ein. Gleich betreten wir die andere Welt.«
    »Sie meinen die Welt der Kranken?«
    »Ja, das auch.« Dann drehte der Pater wieder seinen Kopf nach vorne, und Marie hörte nach einigen Sekunden noch ein mehr gehauchtes als ausgesprochenes »Und die Welt des Teufels!« – was ganz offenbar nicht für ihre Ohren bestimmt war.
    Marie fröstelte, schaute auf den Boden, folgte den frischen Spuren im Schnee. Ihre Stiefel passten problemlos in die Schuhabdrücke des Paters, und eher unbewusst machte sie sich einen Spaß daraus, ihm passgenau nachzuschreiten.
    Am Eingangsbereich angekommen, öffnete sich die gläserne Schiebetür automatisch. Sofort umströmte warme Luft den Pater und die Novizin, ließ beide kurz in ihrer Bewegung stoppen. Dann passierten sie eine zweite

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