Spurschaden
richtig vorgestellt. Ich bin die Marie!« Sie setzte ein künstliches Lächeln auf und streckte ihrem Gegenüber die Hand entgegen, drückte anschließend besonders fest und lange zu.
»Jutta. Sprechstundenhilfe und technische Assistentin. Freut mich!«
Jutta freute sich wirklich sehr über den innigen Händedruck, den sie von der jungen Novizin nicht erwartet hätte. Maries Freude war allerdings eine andere. Sie freute sich, dass dieses rothaarige, totgeschminkte Miststück mit dem auffallend weiten Ausschnitt das »Ding« nun auch berührt hatte. Miststück – so nannte Marie alle Frauen, die ihre weiblichen Reize auf eine sich weit außerhalb des Grenzbereichs befindende Art und Weise zur Schau stellten.
Und Marie dachte an einen Arzt, der seine Angestellten so herumlaufen ließ. Was mochte das für ein Arzt sein? »Nur der Beste!«, hoffte sie und erinnerte sich an den kleinen, untersetzten Mann, den der Pater ihr damals kurz vorgestellt hatte. Sie konnte sich noch genau an die großen strahlenden Augen erinnern, an sein verlegenes Grinsen. Vielleicht wusste sie jetzt, welcher Anlass sich dahinter verbarg. Doch Marie täuschte sich – in dem Pater, in der jungen Sprechstundenhilfe, in dem Arzt. Es war sie, der das Gespür für die Realität allmählich immer mehr entglitt. Ihr fettiges Haar, der Mundgeruch, ihr ungepflegtes Äußeres; all das sowie die lieb gemeinten Anspielungen ihrer Mitschwestern hatte sie seit vielen Wochen nicht wirklich wahrgenommen. Sie brauchte Hilfe, das wussten alle in ihrem Umfeld. Doch welche Auswirkungen das Verschwinden der Zwillinge auf ihr geistiges Empfinden wirklich hatte, das konnte nur Pater Johann erahnen. Und darum war sie jetzt hier. Weil sie an ihrem linken Ohr – rund um den Bereich des Ohrläppchens – einen undefinierbaren Schmerz verspürte, hatte sie diesen Termin für die extrem aufwendige und teure Untersuchung ihres Kopfes nämlich nicht bekommen. Allerdings fiel das der Marie, die sie seit geraumer Zeit war, nicht auf.
Die Novizin verdrängte das Bild eines lüsternen Arztes und biss sich auf die Zunge. Sie wollte sich auf das konzentrieren, was nun vor ihr lag: der Umkleideraum, die große Maschine.
Schrrrrbrrrrr … KRRRRRRRRREEE
Da war es wieder – dieses eigenartige Geräusch: KRRRRRRREEE …
Sie hatte sich in den letzten Tagen ausführlich im Internet schlaugemacht; Jutta hatte sie vorhin informiert: über die extrem lauten Geräusche, die die Maschine während des Betriebs von sich gab und die einen Ohrschutz zwingend voraussetzten. Kleine Stöpsel, ähnlich den Standard-Kopfhörern eines jeden tragbaren Musikabspielgeräts. Doch dieses KRRRRREEE, dieses kratzende Geräusch, das in unregelmäßigen Abständen ihren Kopf zu sprengen drohte, zehrte seit einer gefühlten halben Stunde an ihren Nerven, hörte sich an, als ob das Gerät einen Schaden hätte, etwas in dessen Innenleben außerhalb der festgelegten Spur seine Bahnen zog, um dort vernichtend zu wüten. Und dieser Gestank; dieser entsetzliche Gestank. »Die liebe Jutta war wohl zu faul gewesen, den Innenbereich der Maschine vom Angstschweiß meines Vorgängers zu reinigen«, dachte Marie und stieß ein »Oh du verdammtes Miststück!« mit dem nächsten Ausatmen aus. Ihr Pulsschlag erhöhte sich weiter.
Pater Johann starrte auf das mittig gelegene Display genau vor ihm. Umringt von zahlreichen größeren Monitoren war es das einzige, das ein reales Live-Bild vom Gesicht der zu untersuchenden Person zeigte. Mit den anderen Darstellungen – vom Computer generierte 3D-Aufnahmen des menschlichen Gehirns – konnte er ohnehin nicht viel anfangen. »Kann sie uns hören?«
»Nein, unmöglich!« Professor Arndt schüttelte entschieden den Kopf. »Und würdest du in dem Ding mal wach bleiben, wüsstest du das!« Er grinste. »Kein normaler Mensch döst in so einer Maschine ein!«
»Ich mache nur die Augen zu … so wie das jeder macht!«
»Schon klar. Komisch nur, dass dann deine Hirnströme das Gegenteil anzeigen.«
»Deine Maschine ist nicht unfehlbar!«, erwiderte der Pater. »Aber mal was anderes: Weint sie?« Und er rückte näher an den mittleren Monitor, berührte dessen Oberfläche mit seinem Zeigefinger.
»Was meinst du? Ach so. Ja, das ist nicht ungewöhnlich. Die Anspannung. Da kann schon mal eine Träne fließen.« Der Professor streifte kurz mit seinem Blick den Live-Monitor, verharrte dann wieder in der üblichen Position, den restlichen Monitoren weiter links zugewandt.
»Und
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