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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Mann ist ein tüchtiger, erfolgreicher Unternehmensberater, und sie haben sich eine schicke Vierzimmerwohnung in der Nähe des Yoyogi-Parks gekauft. Gleichwohl sieht es bei ihnen immer aus wie im Schweinestall.
    Im Gegensatz zu meiner Schwester interessierte ich mich wenig für die Schule und schon gar nicht für meinen Listenplatz in der Klasse. Damit meine Eltern nicht meckerten, nahm ich pflichtschuldigst regelmäßig am Unterricht teil und lernte gerade so viel, wie unbedingt nötig war. Ansonsten spielte ich Fußball oder lag auf dem Bett und verschlang einen Roman nach dem anderen. Obwohl ich keinen Nachhilfeunterricht hatte, war ich in der Schule nie schlecht. Eher gut. Auf diese Weise, rechnete ich mir aus, würde ich es vielleicht auf eine anständige Uni schaffen, ohne für irgendwelche Aufnahmeprüfungen übermäßig büffeln zu müssen. Und genauso kam es auch.
     
    Zu Anfang meines Studiums zog ich allein in ein kleines Einzimmerapartment. Auch als ich noch in Tsudanuma bei meinen Eltern wohnte, hatte ich kaum jemals ein tiefer gehendes Gespräch mit ihnen geführt. Obwohl ich mit ihnen unter einem Dach lebte, blieben Menschen vom Schlag meiner Eltern und meiner Schwester und ihre Erwartungen im Leben für mich immer ein Geheimnis. Natürlich war es umgekehrt genauso – sie wussten fast nichts von mir oder meinen Wünschen und Träumen. Das soll nicht heißen, dass ich selbst gewusst hätte, wonach ich suchte. Es machte mir zwar Spaß, wie am Fließband Romane zu lesen, aber zum Schriftsteller fehlte mir das Talent. Redakteur oder Kritiker zu werden schied ebenfalls aus, dazu sind meine Vorlieben zu wenig repräsentativ. Meine Lektüre diente einzig meiner persönlichen Zerstreuung, Studium oder Beruf dagegen waren etwas anderes. Daher studierte ich auch nicht Literatur, sondern Geschichte. Ich interessierte mich nicht besonders für Geschichte, aber nachdem ich einmal damit angefangen hatte, wurde mir klar, dass es sich um eine äußerst interessante Wissenschaft handelte. Dennoch wollte ich nicht promovieren und die akademische Laufbahn einschlagen (auch wenn mein Professor mir das nahe legte). Es behagt mir, Bücher zu lesen und nachzudenken, aber im Grunde bin ich kein Wissenschaftlertyp. Wie es in Eugen Onegin von Puschkin heißt:
     
    »Staubwolken wühlte er mitnichten
Aus chronologischen Wälzern auf
Und aus der Welthistorie Lauf.«
     
    Noch weniger hatte ich Lust, mir eine Anstellung in einer normalen Firma zu suchen, mich dem erbitterten Konkurrenzkampf zu stellen und mich siegreich Stufe um Stufe die steile Pyramide der kapitalistischen Gesellschaftsordnung emporzuarbeiten.
    So entschied ich mich schließlich für dasjenige, was übrig blieb: für den Lehrerberuf. Meine Schule lag nur wenige Haltestellen von meiner Wohnung entfernt. Ein Onkel von mir war beim Schulamt der Stadt beschäftigt und hatte sich zufällig erkundigt, ob ich nicht Grundschullehrer werden wolle. Da ich die pädagogischen Anforderungen nicht erfüllte, wurde ich zunächst als Vertretung eingestellt und erst nach einer kurzen Fortbildung als vollwertiger Lehrer eingesetzt. Ursprünglich hatte ich ja gar nicht Lehrer werden wollen, aber als ich es dann war, entwickelte ich mehr Zuneigung zu diesem Beruf, als ich es mir je hätte vorstellen können. Und mein Respekt und meine Zuneigung halfen mir, mich selbst zu finden.
    Wenn ich vor einer Klasse stand und den Schülern das Grundwissen der Welt, des Lebens und der Sprache vermittelte, hatte ich Gelegenheit, alles noch einmal durch die Augen und das Bewusstsein der Kinder zu sehen, was sich als erfrischende, ja sogar profunde Erfahrung erwies. Auch über die Beziehungen zu meinen Schülern, zu den Kollegen und den Müttern konnte ich nicht klagen.
    Aber meine grundlegenden Fragen blieben. Wer bin ich? Was suche ich? Wohin gehe ich?
     
    Am nächsten kam ich den Antworten in meinen Gesprächen mit Sumire. Mehr als auf meine eigenen Worte kam es mir darauf an, aufmerksam dem zuzuhören, was sie zu sagen hatte. Sie stellte mir alle möglichen Fragen, und ich bemühte mich, sie zu beantworten. Wenn ich keine Antwort wusste, beschwerte Sumire sich. Manchmal wurde sie sogar richtig wütend. Darin unterschied sie sich stark von den meisten Menschen. Da meine Meinung sie brennend interessierte, gab ich mir enorm Mühe, ihr so ernsthaft wie möglich Rede und Antwort zu stehen. Dabei ergab es sich oft, dass ich meine unsichtbare Schranke vergaß und mich Sumire öffnete (und dabei

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