Sputnik Sweetheart
angepasst, oder?«
»Das größte Problem ist, dass du selbst noch nicht weißt, was für eine Fiktion das ist. Weder kennst du die Handlung, noch hast du dich für einen Stil entschieden. Bisher weißt du nur den Namen der Heldin. Du bist in einer Übergangsphase auf dem Weg zu etwas Neuem. In einer Weile wirst du dich in dieser unbekannten Geschichte zurechtfinden, und eine neue Welt wird sich dir öffnen. Bis es so weit ist, bist du natürlich gewissen Gefahren ausgesetzt.«
»Das heißt, ich habe die alte Übersetzung schon abmontiert, aber die neue noch nicht eingesetzt, obwohl der Motor auf vollen Touren weiterläuft. Ja?«
»So etwa.«
Sumire zog ihr mürrisches Gesicht und torpedierte längere Zeit mit dem Strohhalm die wehrlosen Eiswürfel. Dann hob sie den Kopf und sah mich an.
»Ich verstehe, was du mit ›gewissen Gefahren‹ meinst. Manchmal fühle ich mich so verzagt und hilflos, als hätte man mir ganz plötzlich den Boden unter den Füßen weggerissen, und ich würde schwerelos und allein durch den stockdunklen leeren Raum treiben. Und wüßte nicht, wohin.«
»Wie ein verirrter Sputnik?«
»So ungefähr.«
»Aber du hast Miu«, sagte ich.
»Im Augenblick«, sagte Sumire.
Eine Zeit lang herrschte Schweigen.
Dann stellte ich wieder eine Frage. »Glaubst du, Miu will es auch?«
Sumire nickte. »Ganz sicher. Vielleicht genauso sehr wie ich.«
»Einschließlich der körperlichen Aspekte?«
»Schwer zu sagen. Keine Ahnung. Was ihre Gefühle sind, meine ich. Deshalb bin ich ja auch so verwirrt und durcheinander.«
»Die klassische Situation.«
Statt einer Antwort presste Sumire die Lippen zusammen.
»Aber du bist dir sicher?«
Sumire nickte einmal kurz und entschieden. Sie war sehr ernst. Ich lehnte mich weit im Sessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Jetzt fang bloß nicht an, mich zu hassen«, sagte Sumire. Der Satz klang wie eine Zeile aus einem alten Schwarz-Weiß-Film von Godard, und er berührte nur den äußersten Rand meines Bewusstseins.
»Ich fange nicht an, dich zu hassen«, sagte ich.
An einem Sonntag zwei Wochen später half ich Sumire beim Umzug. Da sie sich ziemlich überstürzt dazu entschlossen hatte, war ich der einzige Helfer. Außer ihren Büchern besaß sie kaum etwas, sodass der Umzug nicht lange dauerte. Arm sein hat auch seine guten Seiten.
Mit einem Toyota High Ace, den ich mir von einem Freund geliehen hatte, brachte ich die Sachen in ihre neue Wohnung in Yoyogi-Uehara. Das Apartment war an sich nicht toll, aber definitiv eine Verbesserung zu ihrer alten Holzhütte in Kichijoji, die allen Anspruch auf Denkmalschutz gehabt hätte. Ein mit Miu befreundeter Makler hatte es für sie ausfindig gemacht. In Anbetracht der günstigen Lage und der hübschen Aussicht war die Miete keineswegs hoch, und das Apartment war doppelt so groß wie Sumires alte Wohnung. Der Umzug lohnte sich also. Der Yoyogi-Park lag ganz in der Nähe, und sie konnte sogar zu Fuß zur Arbeit gehen, wenn sie wollte.
»Vom nächsten Monat an arbeite ich fünf Tage in der Woche«, sagte Sumire. »Drei Tage sind nichts Halbes und nichts Ganzes. Jeden Tag zur Arbeit zu gehen ist einfacher. Ich muss jetzt mehr Miete bezahlen, und auch Miu meint, es wäre vorteilhafter für mich, voll beschäftigt zu sein. Schreiben kann ich ja doch nicht, selbst wenn ich zu Hause hocke.«
»Gar nicht schlecht«, sagte ich.
»Wenn ich jeden Tag arbeite, muss ich, ob es mir passt oder nicht, ein solideres Leben führen. Ich werde dich wahrscheinlich nicht mehr um drei Uhr morgens anrufen. Es hat also auch seine Vorteile.«
»Enorme Vorteile. Nur schade, dass du jetzt so weit weg wohnst.«
»Meinst du das im Ernst?«
»Natürlich. Soll ich mir mein lauteres Herz aus der Brust reißen und dir zeigen?«
Den Rücken an die Wand gelehnt, saß ich auf dem nackten Fußboden ihrer neuen Wohnung. Sumire besaß so wenig Möbel, dass die Wohnung kahl und leblos aussah. An den Fenstern hingen keine Vorhänge, und auf dem Boden stapelten sich Bücher, die keinen Platz in den Regalen gefunden hatten, wie intellektuelle Flüchtlinge. Das einzig Auffällige war ein großer Spiegel an der Wand, den Miu ihr zum Einzug geschenkt hatte. Der Abendwind trug die Schreie der Krähen vom Park herüber. Sumire setzte sich neben mich.
»Du?« sagte sie.
»Hm?«
»Wenn ich eine nichtsnutzige Lesbe wäre, würdest du dann trotzdem mein Freund bleiben?«
»Es würde keinen Unterschied machen. Ohne dich wäre
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