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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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einer entsetzlichen Leere.
     
    Warum hatte Miu sich nicht bei mir gemeldet, als sie wieder in Japan war? Vielleicht hatte sie sich lieber in Schweigen geflüchtet, vielleicht wollte sie, von Erinnerungen umgeben, an einem namenlosen, unerreichbaren Ort versinken. So stellte ich es mir zumindest vor. Nichts lag mir ferner, als sie zu verurteilen oder sie gar zu hassen.
    Auf einmal hatte ich die Bronzestatue vor Augen, die man für Mius Vater in dem kleinen koreanischen Bergdorf errichtet hatte. Ich stellte mir den Marktplatz vor, die niedrigen Häuser und die mit Staub bedeckte Statue. In dieser Gegend weht ständig ein heftiger Wind, und alle Bäume sind zu surrealen Formen verdreht. Warum die Statue und Miu, die Hände am Lenkrad ihres Jaguar, in meinem Kopf zu einem wurden, weiß ich nicht.
    Vielleicht ist alles schon von Anfang an dazu bestimmt zu verschwinden, und es gibt einen fernen Ort, an dem alles Verlorengegangene zu einer einzigen Form verschmolzen ist, weshalb es uns in unserem Leben höchstens gelingt, den dünnen Faden zu erhaschen, an dem sie hängen, und möglichst viel davon einzuholen. Ich schloss die Augen und versuchte mich an so viele schöne Dinge wie möglich zu erinnern. Ich wollte sie festhalten, auch wenn sie nur von kurzer Dauer gewesen waren.
     
    Ich träume. Manchmal glaube ich, das ist das einzig Richtige, was man tun kann. Wie Sumire geschrieben hatte – in der Traumwelt leben. Doch irgendwann kommt immer das Erwachen.
    Es ist drei Uhr morgens. Ich schalte das Licht an, setze mich auf und blicke auf das Telefon an meinem Bett. In meiner Fantasie zündet sich Sumire im Telefonhäuschen eine Zigarette an und wählt meine Nummer. Ihr Haar ist verstrubbelt, sie trägt ein viel zu großes Herrenjackett mit Fischgrätmuster und zwei verschiedene Söckchen. Sie runzelt die Stirn und verschluckt sich ab und zu am Rauch. Es dauert eine Weile, bis sie alle Zahlen richtig gedrückt hat. Aber ihr Kopf ist voller Themen, die sie mit mir bereden will. Das kann schon bis zum Morgen dauern. Zum Beispiel der Unterschied zwischen Zeichen und Symbol. Mein Telefon sieht aus, als würde es gleich klingeln. Aber es klingelt nicht. Im Liegen starre ich das Telefon an, das nicht klingelt.
     
    Eines Nachts aber läutete es doch. Es klingelte wirklich – direkt vor meiner Nase – und ließ die Luft der realen Welt erzittern. Ich nahm sofort ab.
    »Hallo?«
    »Ich bin wieder da«, sagte Sumire. Ganz gelassen. Ganz real. »Ich hab ganz schön was mitgemacht, aber ich bin trotzdem wieder da.« Es war wie eine Zusammenfassung der Odyssee in fünfzig Wörtern.
    »Das ist gut«, sagte ich. Ich konnte es nicht fassen, ihre Stimme zu hören. Dass sie es wirklich war.
    »Das ist gut«, wiederholte Sumire und zog dabei (wahrscheinlich) die Stirn in Falten. »Was soll das? Ich hab bis aufs Blut gelitten – was ich alles durchgemacht habe! Wenn ich dir das in allen Einzelheiten erzähle, werde ich nie fertig. Ist das alles, was du zu meiner Rückkehr zu sagen hast? Das ist gut. Ich fang gleich an zu heulen. Das ist gut, sagt er, ich fass’ es nicht. Heb dir doch deine warmherzigen, geistreichen Bemerkungen für die Bälger in deiner Klasse auf, wenn sie endlich malnehmen können!«
    »Wo bist du jetzt?«
    »Wo werde ich schon sein? Was denkst denn du? Im guten, alten Telefonhäuschen natürlich. In einem viereckigen, schäbigen Häuschen, das vollgeklebt ist mit Werbung für Kredithaie und Telefonsex. Am Himmel steht der verschimmelte Halbmond, und der Boden ist voller Zigarettenkippen. Nichts in Sicht, das einem das Herz wärmt. Ein austauschbares, total symbolisches Telefonhäuschen. Ich weiß nicht genau, wo es steht. Alles ist so symbolisch. Du weißt doch, mein Orientierungssinn ist katastrophal. Ich kann’s nicht erklären. Deshalb schnauzen mich die Taxifahrer auch immer an: ›Wo wollen Sie denn nun überhaupt hin?‹ Jedenfalls ist es nicht weit, glaube ich, vielleicht sogar ziemlich nah.«
    »Ich hole dich ab.«
    »Das wäre toll. Ich finde raus, wo ich bin, und rufe dich zurück. Mein Kleingeld reicht sonst nicht. Warte nur einen Moment.«
    »Ich will mich unbedingt mit dir treffen«, sagte ich.
    »Ich will mich auch unbedingt mit dir treffen«, antwortete sie. »Als das nicht mehr ging, ist es mir klar geworden. Es war mir so klar, als stünden alle Planeten ordentlich in einer Reihe vor mir. Ich brauche dich. Du bist ich, und ich bin du. Ich glaube, ich habe irgendwo – wo weiß ich nicht – eine

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