Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
und ich bin nie auf Vorurteile gestoßen. Ich fand sehr gute Freundinnen dort und hatte alles in allem eine schöne Schulzeit. Natürlich habe ich auch Unerfreuliches erlebt, aber eigentlich erst, als ich als Erwachsene den so genannten Ernst des Lebens kennen lernte. Andererseits gibt es wohl kaum jemanden, der in seinem Erwachsenenleben keine negativen Erfahrungen macht.«
    »Ich habe gehört, dass man in Korea Katzen isst. Stimmt das?«
    »Ich habe auch davon gehört. Aber ich kenne niemanden, der das tut.«
     
    Der Marktplatz lag wie ausgestorben in der prallen Mittagssonne. Es war die heißeste Zeit des Tages, in der sich die Einwohner des Ortes in ihre kühlen Häuser zurückzogen und die meisten ihr Mittagsschläfchen hielten. Nur neugierige ausländische Touristen gingen zu dieser Tageszeit spazieren.
    Mitten auf dem Platz stand die Statue eines Helden. Er hatte einen Aufstand gegen die Türken angezettelt, die die Insel besetzt hielten, wurde aber gefangen genommen und gepfählt. Die Türken stellten einen angespitzten Pfahl auf dem Marktplatz auf und setzten den bedauernswerten Helden nackt darauf. Ganz langsam drang der Pfahl durch seinen Anus in seinen Körper, bis er schließlich aus seinem Mund wieder austrat. Es dauerte Stunden, bis er tot war. Die Statue stand angeblich genau an der Stelle, an der dies geschehen war. Als sie aufgestellt wurde, war die Bronzestatue gewiss imposant und glänzend gewesen, aber der salzige Wind, der Vogelkot und der Zahn der Zeit hatten die Gesichtszüge des Mannes bis zur Unkenntlichkeit zerfressen. Die Bewohner der Insel würdigten die schäbige Statue kaum eines Blickes, und der Held selbst wirkte, als habe er mit der Welt abgeschlossen.
    Plötzlich war Sumire etwas eingefallen. »Wo wir gerade von Katzen sprechen – da habe ich auch eine seltsame Erinnerung. Als ich in der zweiten Klasse war, hatten wir ein niedliches dreifarbiges Kätzchen, sechs Monate alt. Als ich eines Abends auf der Veranda las, fing das Kätzchen auf einmal an, wie wahnsinnig um eine große Kiefer herumzurennen, die in unserem Garten stand. Katzen machen so was öfter. Sie fauchen scheinbar grundlos, machen einen Buckel, ihr Fell sträubt sich, und sie richten ihren Schwanz angriffslustig auf.
    Die Katze merkte gar nicht, dass ich sie von der Veranda aus beobachtete, so aufgeregt war sie. Verwundert legte ich mein Buch zur Seite und starrte die Katze an. Sie ließ nicht ab von ihrem manischen Gerase. Ihre Energie steigerte sich sogar noch. Sie war wie besessen.«
    Sumire nahm einen Schluck Wasser und kratzte sich kurz am Ohr. »Allmählich wurde es mir unheimlich. Mir kam der Gedanke, dass die Katze da etwas sah, was ich nicht sah, das sie aber fast zum Wahnsinn trieb. Immer wilder raste sie um den Baum, wie die Tiger in dieser Kindergeschichte, die zu Butter werden. Nach einer Ewigkeit kletterte sie jedenfalls den Stamm hinauf. Als sie zwischen den Ästen hindurchspähte, sah ich ihre kleine Schnauze und rief laut nach ihr, aber sie reagierte nicht.
    Bald ging die Sonne unter, und ein kühler spätherbstlicher Wind erhob sich. Ich saß auf der Veranda und wartete, dass die Katze herunterkäme. Sie war eigentlich sehr zutraulich, und ich dachte, sie würde schon kommen, wenn ich nur eine Weile sitzen bliebe. Aber sie kam nicht. Ich hörte sie auch nicht miauen. Es war inzwischen schon fast dunkel. Ich kriegte Angst und holte meine Eltern. Sie beruhigten mich und sagten, das Kätzchen würde schon von allein herunterkommen. Aber am Ende tauchte es nie wieder auf.«
    »Nie wieder?«
    »Genau. Das Kätzchen blieb verschwunden. Als hätte es sich in Rauch aufgelöst. Alle sagten, es sei bestimmt in der Nacht hinuntergeklettert und dann weggelaufen. Katzen klettern, wenn sie aufgeregt sind, öfter auf hohe Bäume und trauen sich dann nicht mehr hinunter. Aber wenn das Kätzchen noch dort gewesen wäre, hätte man ja seine Angstschreie hören müssen. Ich wollte einfach nicht glauben, dass es weg war, und dachte, es hocke noch auf dem Baum, an einen Ast geklammert und zu verängstigt, um zu miauen. Deshalb setzte ich mich, als ich aus der Schule kam, auf die Veranda, beobachtete die Kiefer und rief immer wieder laut den Namen des Kätzchens. Aber es kam keine Antwort. Nach einer Woche gab ich es auf. Da ich sehr an dem Kätzchen gehangen hatte, war ich entsetzlich traurig. Sooft ich die Kiefer anschaute, stellte ich mir vor, das arme Kätzchen hinge tot und steif an einem Ast. Es war nicht

Weitere Kostenlose Bücher