Sputnik Sweetheart
erloschen. Irgendwo ist Blut geflossen, und jemand oder etwas hat mich verlassen. Hals über Kopf, wortlos. Eine Tür geht auf und schlägt wieder zu. Licht aus. Heute ist mein letzter Tag. Der letzte Sonnenuntergang. Wenn die Nacht hereinbricht, werde ich nicht mehr hier sein. Ein anderer wird meinen Körper bewohnen.
Warum müssen die Menschen so einsam sein? Wozu soll das gut sein? Stets sind wir auf der Suche nach der Nähe der anderen, und dennoch sind wir so allein. Wozu? Dreht sich dieser Planet nur, um die Einsamkeit des Menschen zu nähren?
Ich drehte mich auf meiner Steinplatte auf den Rücken, schaute in den Himmel und dachte an die vielen künstlichen Satelliten, die in diesem Augenblick die Erde umkreisten. Der Horizont war von einem schwachen Lichtstreif gesäumt, und am tief weinrot getränkten Himmel blinkten die ersten Sterne auf. Ich versuchte, zwischen ihnen die Satelliten zu entdecken, aber es war noch zu hell, um sie mit bloßem Auge zu erkennen. Die sichtbaren Sterne wirkten wie fest an ihren angestammten Platz genagelt. Ich lauschte mit geschlossenen Augen und dachte an die Abkömmlinge des ersten Sputnik, die unentwegt die Erde umkreisen und deren einzige Bindung an sie die Schwerkraft ist. Als einsame, metallene Seelen in der schrankenlosen Dunkelheit des Weltalls begegnen sie sich, schießen aneinander vorbei und bleiben für alle Ewigkeit getrennt. Zwischen ihnen gibt es keine Worte und keine Versprechen.
15
An einem Sonntagnachmittag klingelte das Telefon. Es war der zweite Sonntag nach Schulbeginn im September. Ich war gerade dabei, mir ein spätes Mittagessen zu bereiten, und schaltete den Gasherd aus, ehe ich ans Telefon ging. Ob es Miu mit Neuigkeiten über Sumires Verschwinden sein konnte? Das Klingeln hatte sich irgendwie dringend angehört. So war es mir zumindest vorgekommen. Aber es war meine Geliebte.
»Es ist wichtig«, sagte sie, ohne die übliche Begrüßung. »Kannst du sofort kommen?«
Ihre Stimme klang, als sei etwas Schlimmes passiert. Vielleicht hatte ihr Mann von unserer Affäre erfahren. Ich versuchte ruhig zu bleiben. Wenn an der Schule bekannt würde, dass ich mit der Mutter eines meiner Schüler schlief, säße ich – gelinde gesagt – in der Patsche. Im schlimmsten Fall wäre ich meine Stelle los. Gleichzeitig fand ich mich schon damit ab. Das hatte ich schließlich von Anfang an gewusst.
»Wohin soll ich kommen?«
»In einen Supermarkt«, sagte sie.
Ich fuhr mit der Bahn nach Tachikawa und kam gegen halb drei an der Station in der Nähe des Supermarkts an. Obwohl es so heiß war wie im Hochsommer, trug ich die Garderobe, um die sie mich gebeten hatte: ein weißes Oberhemd mit Krawatte und einen hellgrauen Anzug. »Darin siehst du mehr wie ein Lehrer aus und machst einen besseren Eindruck«, hatte sie gesagt. »Sonst könnte man dich noch für einen Studenten halten.«
Am Eingang fragte ich einen jungen Mann, der die Einkaufswagen zusammenschob, wo das Büro der Supermarktaufsicht sei, und erfuhr, dass es sich im zweiten Stock eines Nebengebäudes auf der anderen Straßenseite befand. Das schäbige zweistöckige Gebäude war hässlich und hatte nicht mal einen Aufzug. »Keine Angst, eines Tages reißen sie die Kiste sowieso ab«, schienen die rissigen Betonmauern zu meiner Ermutigung zu sagen. Ich stieg die schmale, abgenutzte Treppe hinauf und klopfte leise an eine Tür mit dem Schild »Sicherheitsdienst«. Eine tiefe Männerstimme antwortete. Als ich die Tür öffnete, sah ich meine Freundin und ihren Sohn vor dem Schreibtisch eines uniformierten Wachmanns sitzen. Sonst war niemand da.
Der Raum war weder groß noch klein. An der Fensterseite standen drei Schreibtische, und an der Wand gegenüber gab es einen Metallspind. An der Zwischenwand hingen eine Diensttabelle und ein Metallregal mit drei Uniformmützen. Jenseits der Milchglastür am anderen Ende des Zimmers schien sich eine Art Ruheraum für die Angestellten anzuschließen. Es gab keinerlei Dekoration. Keine Blumen, keine Bilder, nicht einmal einen Wandkalender. Nur eine übertrieben große Uhr tickte an der Wand. Der Raum war seltsam leer und wirkte wie der Winkel einer alten Welt, an dem die Zeit spurlos vorübergegangen war. Über die Jahre hatten sich Zigarettenrauch, muffige Papiere und Schweiß zu einem ganz eigentümlichen Geruch verbunden.
Der Wachmann war von untersetzter Statur und ungefähr Ende fünfzig. Er hatte fette Arme und einen großen Kopf mit einem dicken grau
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