Sputnik Sweetheart
Zwischenräume, die uns noch trennten, auszufüllen und uns zu verbinden. Kreischend durchschnitten die Seevögel den wolkenlosen Himmel, während im Café der ewig schläfrige Kellner die Getränke servierte.
Miu presste nachdenklich die Lippen aufeinander. »Hassen Sie mich?«, fragte sie.
»Weil Sumire verschwunden ist?«
»Ja.«
»Warum sollte ich Sie deswegen hassen?«
»Ich weiß nicht.« In ihrer Stimme schwang eine Erschöpfung mit, die offenbar lange unterdrückt worden war. »Nicht nur Sumire, auch Ihnen werde ich wohl nie wieder begegnen. Das spüre ich. Deshalb habe ich Sie gefragt.«
»Ich hasse Sie nicht«, sagte ich.
»Aber wer weiß, was später einmal sein wird?«
»Ich hasse keinen Menschen wegen so etwas.«
Miu nahm ihren Hut ab, glättete sich das Haar und setzte ihn wieder auf. Wie geblendet kniff sie die Augen zusammen und sah mich an.
»Das liegt sicher daran, dass Sie keine Erwartungen an andere haben«, sagte sie. Ihre Augen waren tief und klar, wie die dunkle Dämmerung, in der wir uns zum ersten Mal begegnet waren. »Ich bin anders. Aber ich mag Sie – sehr.«
Dann trennten wir uns. Die Fähre manövrierte rückwärts aus dem Hafen und drehte sich dann langsam um 180 Grad. Die ganze Zeit über stand Miu in ihrem eng anliegenden weißen Kleid am Pier der kleinen griechischen Insel, hielt ab und zu ihren Hut fest, damit der Wind ihn nicht davonwehte, und schaute der Fähre nach. Sie wirkte überhaupt nicht wie ein Wesen von dieser Welt. An die Reling gelehnt, blickte ich zurück. Die Zeit schien still zu stehen, und Mius Bild brannte sich für immer in mein Gedächtnis ein.
Als die Zeit sich endlich wieder in Bewegung setzte, wurde Miu immer kleiner, bis sie nur noch ein unscharfer Punkt war, der sich in der flimmernden Luft schließlich ganz auflöste. Dann entfernte sich die Stadt, die Umrisse der Berge verschwammen, bis am Ende die ganze Insel mit dem hellen Dunst verschmolz und verschwand. Andere Inseln tauchten auf und verschwanden auf die gleiche Weise. Mit der Zeit wurde alles, was ich zurückgelassen hatte, zu nichts, und es kam mir fast so vor, als hätte es nie existiert.
Vielleicht hätte ich bei Miu bleiben sollen? Schulanfang, na und? Auf der Insel hätte ich Miu helfen, mit ihr nach Sumire suchen können, bis wir Gewissheit hatten, und falls das Schreckliche eingetroffen wäre, hätten wir es gemeinsam ertragen. Miu wollte mich bei sich haben, und in einem gewissen Sinne wollte auch ich bei ihr sein.
Auf wundersame Weise hatte Miu mein Herz ganz stark berührt.
Das merkte ich zum ersten Mal, als ich auf dem Deck der Fähre stand und ihre Gestalt in der Ferne verschwinden sah. Man konnte es nicht gerade Liebe nennen, aber es war etwas sehr Ähnliches. Ich spürte, wie zahllose dünne Fäden an mir zogen. Aufgewühlt setzte ich mich auf die Bank und starrte, meine Sporttasche auf dem Schoß, in das Kielwasser der Fähre, das in einer geraden Linie weiß aufschäumte. Hartnäckig folgten die Möwen der Spur. Noch lange spürte ich den Druck von Mius kleiner Hand auf meinem Rücken wie den Schatten einer Seele.
Ich hatte vorgehabt, direkt nach Tokyo zurückzufliegen, aber aus irgendeinem Grund verschob ich den Flug, den ich am Tag zuvor gebucht hatte, und verbrachte die Nacht in Athen. Mit einem Minibus der Fluggesellschaft fuhr ich in die Stadt und übernachtete in einem angenehmen, gemütlichen Hotel in der Nähe der Plaka, das man mir empfohlen hatte. Der einzige Wermutstropfen war eine lärmende deutsche Touristengruppe, die ebenfalls dort wohnte. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, schlenderte ich durch die Straßen und kaufte wahllos ein paar Mitbringsel. Gegen Abend stieg ich allein zur Akropolis hinauf, legte mich auf eine Steinplatte und betrachtete die weißen, in der Dunkelheit schwebenden, bläulich angestrahlten Tempel, während der Abendwind über mich hinwegstrich. Eine schöne, märchenhafte Szene.
Doch was ich empfand, war nichts als tiefe Einsamkeit. Unversehens schien meine Welt für immer alle Farbe verloren zu haben. Ich stand auf einem kargen Hügel vor den Ruinen meiner Gefühle. Vor mir erstreckte sich endlos mein Leben und erinnerte mich an das Bild von einer menschenleeren Landschaft auf einem verlassenen Planeten, das ich als Kind in einem Buch mit fantastischen Geschichten gesehen hatte. Kein Zeichen von Leben. Jeder Tag war unendlich lang, die Temperatur entweder glühend heiß oder klirrend kalt. Das Fahrzeug, das mich
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