St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
gibt es nur eine Lösung: Ich schicke Madeline nach Hause zurück.«
»Was?«, rief Fitzleger mit weit aufgerissenen Augen. »Mylord, wir reden hier über Eure Braut. Ihr könnt sie doch nicht einfach zurückgeben wie ein Paar Stiefel, die nicht passen!«
»Warum nicht? Ich bin mit ihr noch nicht zu Bett gewesen, und der Bund fürs Leben wurde von einem Stellvertreter geschlossen.«
»Dennoch bleibt der Eheschwur heilig und bindend.«
»Ich sehe keinen Grund, warum diese Ehe nicht annulliert werden könnte.«
Der Reverend sprang auf. »Und was ist mit Eurer Ehre? Oder mit Freundlichkeit, Sitte und Anstand? Das arme Mädchen ist von weither angereist und war voller Hoffnungen und Träume.«
»Ja, ich habe ihren Traum gesehen. Er hing an einem blauen Band von ihrem Hals. Dabei dachte ich, dass ich dieses verwünschte Porträt schon vor langer Zeit vernichtet hätte!«
Anatole war die Wut deutlich anzuhören. Der Anblick der Miniatur hatte eine alte Wunde in ihm wieder aufgerissen, die er längst geheilt geglaubt hatte. »Ich habe keine Ahnung, wie Ihr an das Bild gelangt seid, Fitzleger. Gleich wie, was ist Euch bloß eingefallen, es ihr zu geben und zu behaupten, ich sähe so aus?«
»Vergebung, Mylord, aber Ihr habt mir keine große Wahl gelassen.« Er breitete entschuldigend die Arme aus. »Ich durfte ihr ja so gut wie nichts von Euch berichten. Und Ihr selbst wolltet nicht nach London kommen, um ihr den Hof zu machen. Wie sonst hätte ich die Lady denn überzeugen sollen?«
»Also habt Ihr sie lieber in dem Glauben gelassen, ich sei ein hübscher, junger Stutzer. Und gleich nach Eurer Rückkehr vor mir so getan, als seien alle meine Wünsche aufs Beste erfüllt worden. Was glaubtet Ihr denn, würde geschehen, wenn wir uns zum ersten Mal begegneten? Hofftet Ihr vielleicht, wir würden dann beide im selben Moment mit Blindheit geschlagen?«
»Nein, ich dachte, ich könnte dabei sein, um Euch beide einander näher zu bringen.«
»Ja, bei Gott, das wäre mir recht gewesen. Dann hättet Ihr mich wenigstens daran hindern können, mich zum Narren zu machen und die Falsche zu küssen.« Bei der Erinnerung lief der Burgherr rot an.
»Das verstehe ich auch nicht, Mylord. Bei Euren außergewöhnlichen Wahrnehmungen, wie konnte Euch da ein solches Missgeschick widerfahren?«
»Es war eben einfach ein ganz normaler Irrtum, verdammt noch mal! Die große, kräftige Frau entsprach so sehr meinen Vorstellungen, dass Madeline mir überhaupt nicht aufgefallen ist.«
»Habt Ihr denn gar nichts gespürt, als Euer Blick auf Eure wahre Braut gefallen ist?«
»Nein, nicht das Geringste«, entgegnete Anatole. Aber beide wussten, dass er damit nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. In dem Moment, in dem er die zerbrechliche Lady zum ersten Mal wahrgenommen hatte, war eine befremdliche Unruhe in ihm erwacht. Eine Frau wie sie war ihm noch nie begegnet, und irgendwie befand Madeline sich außerhalb der Reichweite seiner besonderen Sinne. So hatte der Burgherr sie bewusst nicht weiter beachtet, sich lieber auf die andere konzentriert und damit das Unheil auf den Weg gebracht.
»Sagt mir, mein Sohn, was Euch an Madeline so in Angst versetzt.«
»Angst?« St. Leger lachte schallend. »Ich glaube, jetzt habt Ihr wirklich den Verstand verloren.«
»Aber warum habt Ihr Euch dann ihr gegenüber so befremdlich verhalten und sie ausgesperrt? Jetzt wollt Ihr sie sogar wieder nach Hause schicken.«
»Weil Madeline nicht die Braut ist, die ich mir gewünscht habe. Ein zierliches kleines Püppchen. Hölle und Verdammnis, wenn ich mich unbedacht im Bett herumdrehe, würde ich sie wahrscheinlich zu Staub zermahlen.« Doch Anatole sah den alten Mann bei diesen Worten nicht an. Wie gewöhnlich hatte der Reverend den Finger genau auf die Wunde gelegt.
Der Burgherr fürchtete Madeline mit ihrer feenhaften Erscheinung und ihrem zerbrechlichen Äußeren tatsächlich, denn sie erinnerte ihn an die Porzellanfiguren in Mutters Kabinettschrank, eine exquisite Sammlung von Nymphen, Schäferinnen, Göttinnen und Waldgeistern. Am Morgen nach dem Tod Cecilys hatte Anatole vor den Glastüren gestanden und auf die Figurinen gestarrt. Mit seinen gerade erst zehn Jahren hatte er noch nicht gelernt, seine besonderen Fähigkeiten und Kräfte im Griff zu halten. Zorn und Kummer waren unendlich stark in ihm gewesen, und mit einem Mal fingen die Porzellanfiguren an zu wackeln und zerbarsten schließlich eine nach der anderen. Als dem Knaben die Tränen versiegt
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