St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
Burgherr hatte immer nackt geschlafen, und bislang war es ihm auch nie in den Sinn gekommen, sich etwas zur Nacht anzuziehen.
Anatole ließ die Hände wieder sinken. Was, um alles in der Welt, ging nur mit ihm vor? Als wenn er nicht genau wüsste, wer dafür verantwortlich war: seine auserwählte Braut, die Feuerfrau. Wenn er nicht aufpasste, würde sie ihn - Während der Burgherr so mit seinen Gedanken rang, kam eine neue Störung hinzu: Jemand bewegte sich durch die Halle. Wer störte ihn zu dieser später Stunde und auch noch in dieser Nacht? Fitzleger.
Warum kam der Brautsucher? Anatole öffnete die eine Hälfte der Flügeltür zum Speisezimmer. Gerade genug Platz für den Alten.
Will und Eamon blickten verwundert von ihrer Arbeit auf, als der Geistliche eintrat. Da sie aber hier auf der Burg an viel sonderbarere Dinge gewöhnt waren, ließen die beiden sich nicht lange von ihren Pflichten abhalten. Der Burgherr erwartete den Geistlichen mit verschränkten Armen und einem finsteren Willkommensblick. Septimus' Haar war vom Nachtwind zerzaust, von der gewohnten inneren Ruhe war ihm wenig anzumerken, und noch bevor St. Leger etwas sagen konnte, platzte es schon aus dem kleinen Mann heraus:
»Vergebung für meine Störung, Mylord, doch leider hat sich heute etwas ereignet, über das ich mich unbedingt mit Euch beraten muss.«
»Jetzt?«, rief Anatole. »Hat das denn nicht bis morgen Zeit? Verdammt, Mann, meine Hochzeitsnacht steht kurz bevor!«
»Das ist mir bewusst, und deswegen bin ich ja auch so erleichtert, euch noch anzutreffen, ehe Ihr... ehe Ihr...« Der Reverend lief rot an und beendete den Satz nicht. Der Burgherr wünschte dringlich, der Pastor wäre fünf Minuten später erschienen. Madeline lag bestimmt schon im Bett und erwartete ihn nervös.
Doch er verzichtete darauf, laut zu fluchen, und wünschte Fitzleger nur in Gedanken zum Teufel. »Also gut, ich gebe Euch fünfzehn Minuten.«
»Unter vier Augen, wenn Eure Lordschaft belieben«, bat der Alte leise.
St. Leger befahl den beiden Jungen, das Aufräumen später fortzusetzen und jetzt zu verschwinden. Dann goss er dem Geistlichen ein Glas Wein ein, ließ ihm aber kaum Gelegenheit, auch nur an dem Burgunder zu nippen. »Also, was, zur Hölle, ist vorgefallen?«
»Ich hoffe, nicht mehr als die Hirngespinste eines alten Narren ...« Der Reverend stärkte sich mit einem Schluck Wein, ehe er fortfuhr: »Heute hat sich etwas Merkwürdiges auf dem Gelände der Kirche getan.«
»Natürlich, ich habe geheiratet.«
Doch der Pastor war viel zu erregt, um auf diesen Scherz zu reagieren. Spätestens jetzt wusste Anatole, dass sein Gegenüber sehr durcheinander sein musste. »Erzählt mir alles«, forderte er ihn weniger knurrig auf. »Nachdem Ihr, Eure Lordschaft, heute Morgen mit Eurer Braut abgefahren wart, bemerkte ich eine Fremde auf dem Friedhof. Sie hatte sich so eingehüllt, dass ich ihre Züge nicht erkennen konnte. Die Frau weinte an einem Grab und ließ dort eine rote Rose zurück. Am Grab von Tyrus Mortmain!«
Anatole zog sofort beide Brauen hoch. Diesen Namen hatte er schon als Kind zu hassen und zu fürchten gelernt. Ein hinterhältiges und umtriebiges Geschlecht, das schon immer mit den St. Legers in Fehde gelebt hatte. Die Blutfehde zwischen den beiden Familien erstreckte sich über Jahrhunderte. Wann immer sein Großvater den Namen hörte, hatte er ausgespuckt.
Der jetzige Burgherr beließ es jedoch bei einem Fluch.
»Tyrus Mortmain, diese schwarzherzige Ausgeburt der Hölle? Wer außer einem gottverdammten Narren würde seinen Tod beweinen -«
»Ein anderer Mortmain«, warf der Priester ein. Das brachte St. Leger kurz zum Nachdenken, doch schon einen Moment später wehrte er ab. »Unmöglich. Alle Mortmains sind tot. Der Letzte von ihnen starb vor vielen Jahren. Man hat mir als Kind immer erzählt, dass mein Großvater Sir Tyrus nach der Ermordung von Onkel Wyatt bis in dessen Anwesen verfolgt hat, um seinen Schurkereien ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Ihr selbst seid doch in jener Nacht zugegen gewesen, oder, Fitzleger?«
»Ja, ich kann mich noch gut daran erinnern. Um nicht der Gerechtigkeit zugeführt und abgeurteilt zu werden, hat Tyrus Mortmain sein eigenes Haus in Brand gesteckt. Alle sind in den Flammen ums Leben gekommen, er selbst, die Dienerschaft, seine Frau und seine Töchter.«
»Und niemand hat die Feuersbrunst überlebt, nicht wahr?« Der Reverend schüttelte sich. »Nein. Nur Tyrus hat man aus den Trümmern
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