St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
wild gewesen, selbst für einen St. Leger.
Aber der arme Junge hatte sich bereits im zarten Kindesalter gezwungen gesehen, allein, ungezähmt und ohne Liebe aufzuwachsen. Dem Reverend wurde immer noch das Herz schwer, wenn er daran dachte. Wie viele Schmerzen und bittere Erinnerungen musste der junge Herr unter seiner harten Schale vergraben haben. Da bedurfte es schon einer außergewöhnlichen und sehr geduldigen Frau, um bis in sein Herz vorzustoßen. Doch Septimus ahnte, und sein besonderer Instinkt gab ihm da Recht, dass Madeline genau diese Frau sein könnte.
Doch warum war er dann nicht zufrieden und freute sich. Seit dem Ende der Zeremonie hatte den Reverend eine tiefe Melancholie überkommen, die sich bis jetzt noch nicht gelegt hatte.
Vielleicht war dafür das Wissen verantwortlich, mit diesen beiden zum letzten Mal ein Paar zusammengebracht zu haben. Anatoles Cousin, der arrogante Roman, war verblendet genug, um die St.-Leger-Traditionen abzulehnen. Die meisten anderen aus dieser Familie waren bereits verheiratet, und Fitzleger wusste, dass ihm nicht mehr genug Jahre blieben, um für die nächste Generation von Diensten zu sein.
Aber wer würde sein Nachfolger werden? Diese Frage bereitete ihm schon seit längerem Sorgen. Keiner seiner Söhne schien das besondere Talent geerbt zu haben. Wer sollte dann in Zukunft den St. Legers den Weg zum Eheglück zeigen?
Seine jüngste Schwiegertochter stand kurz vor einer weiteren Entbindung, und vielleicht würde er diesmal einen Enkelsohn erhalten. Gut möglich, dass die Gabe eine Generation übersprang.
Zufrieden mit dieser Aussicht, setzte sich Septimus den Hut auf den Kopf und beschritt den Friedhofsweg, der zu seinem Pfarrhaus führte. Doch er kam nicht weit. Ein lautes Schluchzen zerstörte den Frieden des Morgens und wurde vom Wind davongetragen. Erschrocken drehte der Reverend sich um, doch zunächst konnte er niemanden entdecken.
Dann fiel ihm eine Bewegung ins Auge. Jemand mit einem bodenlangen Umhang stand vor einem Grab. Der Fremde hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, und das Braun seines Mantels ließ sich kaum vom Stamm der Eiche neben ihm unterscheiden. Er stand im Schatten der Kirche, und so war es kaum verwunderlich, dass Fitzleger ihn nicht gleich bemerkt hatte.
Das Schluchzen nahm kein Ende, und Septimus erkannte an der Stimme, dass es sich bei dem Unbekannten um eine Frau handeln musste. Sie beugte sich über einen Grabstein und weinte laut.
0 nein, dachte der Priester. Nicht schon wieder Bessie Kennack an der letzten Ruhestätte ihrer Mutter. Das Mädchen bereitete ihm mit ihrer Verbitterung schon seit langern Kummer. Immer noch gab sie Anatole die Schuld am Ende ihrer Mutter, und, bei Gott, dazu hatte sie nun wirklich keinen Anlass.
Offensichtlich brauchte die junge Frau jetzt seinen Trost, obwohl er nicht wusste, was er ihr noch sagen sollte. Fitzleger bog also ab, näherte sich ihr und hoffte, ihm werde unterwegs etwas Gescheites einfallen. Doch als Bessie ihn hörte, verschwand sie wie ein scheues Reh zwischen den Bäumen.
»So warte doch!«, rief der Reverend und beschleunigte seine Schritte. »Bess, bitte!«
Ihr Verhalten verwirrte ihn, und überhaupt hatte die Gestalt eigentlich gar nicht wie das Mädchen ausgesehen. Als er die Eichen erreichte, traf er dort niemanden mehr an. Keine ängstliche junge Frau, die sich hinter einem Stamm versteckte, und auch kein Mädchen, das den Weg hinunterlief.
Fitzleger lehnte sich gegen den Baum und sah sich nervös um. Spurlos verschwindende Menschen, so etwas kam eigentlich höchstens auf Castle Leger vor, aber nicht auf seinem schmucken kleinen Friedhof.
Wohin konnte die Frau so rasch entschwunden sein, und warum war sie überhaupt vor ihm geflohen? Septimus wusste jetzt, dass es sich bei ihr nicht um Bessie Kennack gehandelt hatte. Wenn er eben nur einen Moment nachgedacht hätte, wäre ihm aufgegangen, dass ihre Mutter Marie in einer ganz anderen Ecke beerdigt worden war. Nur einen Toten hatte man in den letzten Jahrzehnten hier im alten Teil des Friedhofs bestattet... Der Geistliche fröstelte, und nun fiel ihm auch auf, dass die Fremde eine blutrote Rose auf dieses Grab gelegt hatte. Um ganz sicher zu sein, las er die Inschrift auf dem Stein, obwohl er genau wusste, dass er sich nicht irrte.
Noch im Tode bewies der Verstorbene die Arroganz, die ihn schon zu Lebzeiten gekennzeichnet hatte. Nur ein Wort, ein Name, war dort eingemeißelt worden: Mortmain.
7
Anatole lief an den
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