St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
Weg gegangen wäre. Doch er hatte etwas an sich, das ihre Sympathie erweckte. Vielleicht rührte das daher, dass sie beide hier inmitten der St.-Leger-Versammlung Außenseiter waren. Auch kam es Madeline grausam vor, wie Roman seinen angeblichen Freund vorhin in die peinliche Situation gebracht hatte, davon ausgehen zu müssen, hier unerwünscht zu sein. Roman hätte sich denken können, welch negativen Eindruck ein Mann wie Yves bei seinen bodenständigen Verwandten hervorrufen musste. So konnte es kaum verwundern, dass der Franzose fest entschlossen zu sein schien, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erwecken. Seine Augen wirkten unbelebt wie die einer Puppe, und auch sonst erweckte er den Eindruck eines Narren. Warum umgab Roman sich mit einem solchen Mann? Eines jedoch fiel ihr gleich an ihm auf. Entgegen Anatoles Bemerkung sprach Rochencoeur Speisen und Getränken überaus reichlich zu.
Alle St. Legers verfügten über einen gesunden Appetit, aber Madeline gewann den Eindruck, dass dieser schlanke Franzose mehr verdrücken konnte als sie alle.
Fasziniert verfolgte sie, wie er sich von dem Räucherschinken in Weinsauce, der Taubenpastete und den Erbsen mehrfach nachlegen ließ. Doch trotz seiner Schlemmerei hatte er die besten Tischmanieren, die sie je bei einem Menschen gesehen hatte. Und seine Hände schienen noch schlanker und zierlicher zu sein als die ihren. Als der Mann einmal die Gabel für einen Moment beiseite legte, sprach sie ihn an. »Ihr seid also Architekt, Monsieur?«
»Nicht direkt, Madame«, lächelte er höflich. »Ich pflege nur zur Zeit ein besonderes Interesse an der Errichtung schöner Häuser.«
»Dieses Interesse hat Euch einen weiten Weg gehen lassen. Euer Freund Roman muss Euch sehr ans Herz gewachsen sein, wenn Ihr eine so lange Reise angetreten habt, um ihm Eure Hilfe zu gewähren.« Rochencoeurs Blick huschte kurz in die Richtung des Mannes. Roman war gerade in ein Gespräch mit Zane vertieft. »Oui, nur bin ich eigentlich nach England gekommen, um einer Lady einen Dienst zu erweisen.«
»Eurer Gemahlin?«
»Non. Sie ist leider schon vor vielen Jahren von mir gegangen. Ich spreche von meiner edlen Gönnerin und Patronin der Künste, Madame la Comtesse Sobrennie.« Madeline wusste, dass sie ihre Neugier zügeln sollte, doch dieser Mann faszinierte sie immer mehr. Zu ihrem Glück schien Yves nur auf eine Gelegenheit gewartet zu haben, von sich zu berichten.
»Für den jüngeren Sohn ist es stets schwieriger, sein Glück zu machen, besonders für einen Mann von so bescheidenen Talenten wie ich. Madame la Comtesse hat sich mir gegenüber als überaus freundlich und großzügig erwiesen, hat mich zum Beispiel in die Gesellschaft eingeführt und sich auch um die Erziehung meines Sohnes Raphael gekümmert.«
Er legte wieder sein Besteck ab und zog eine Miniatur aus seiner Westentasche. Das Bild zeigte einen Knaben mit runden Wangen, engelsgleichen blonden Locken und blauen Augen.
»Was für ein hübscher Junge!«, rief Madeline. »Oui.« Ein Ausdruck von Stolz hellte kurz seine leeren Augen auf. »Er zählt zwar erst acht Jahre, verspricht aber schon jetzt, einmal ein großer Gentleman zu werden, und das alles dank der nimmermüden Unterstützung von Madame la Comtesse. Sie ist so generös, so charmant... und so belle.«
Madeline lächelte und nickte höflich, drängte den Franzosen dann aber auf das Thema zurück, das sie mehr interessierte.
»Was für ein glücklicher Umstand, dass Eure Dienste für die Gräfin Euch Zeit genug lassen, Roman beim Wiederaufbau von ... wie hieß der Ort doch gleich?«
»Le Pays Perdue.«
»Ach, ja, das verlorene Land. Ein trübsinniger Name für einen Ort, an dem ein Gentleman sein Anwesen errichten will.«
»Aber, Madame, es handelt sich um einen trübsinnigen Ort. Ein verlorenes und vergessenes Land. Das Manor, das vorher darauf stand, ist ein Raub der Flammen geworden. Doch dies wird sich alles ändern, wenn -«
»Ich fürchte, Ihr langweilt meine schöne Cousine, Freund Yves«, unterbrach Roman ihn mit einem unangenehmen Lächeln. »Ihr seid ein lieber Mensch, Rochencoeur, habt aber leider diesen unseligen Hang an Euch, Euch breit und lang über meine Angelegenheiten auszulassen.« Madeline war schockiert über diesen rüden Auftritt. Sie warf einen vorsichtigen Blick auf den Franzosen, doch der ließ sich nicht mehr anmerken, als den Griff um sein Weinglas zu verstärken.
Dann senkte er den Blick auf seinen Teller und entgegnete:
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