St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
entspannen, aber das war ihr in Gesellschaft immer schon schwer gefallen. Dann dachte sie daran, wie ihre Mutter sich bei solchen Gelegenheiten verhalten hatte.
Aber Mama hatte nie eine Gesellschaft gegeben, die nur aus Männern bestand, welche auch noch den Eindruck erweckten, besser mit dem Schwert als mit der Gabel umgehen zu können.
Die Spannung, die in der Luft lag, hätte es mit dem Sturm aufnehmen können, der sich draußen zusammenbraute.
Madeline konnte sich die Gründe dafür nicht erklären, spürte sie dafür aber umso deutlicher. Sie rührte ihr Fricandeau vom Kalb kaum an, und ihr Blick wanderte immer wieder zu Anatole, der am Kopfende des Mahagonitisches saß und in dumpfem Schweigen seinen Wein trank.
Madeline dachte sehnsüchtig an die Mahlzeiten zurück, die sie in der vergangenen Woche mit ihm eingenommen hatte. Anatole hatte alle Förmlichkeit fahren lassen und sich vom Kopfende entfernt, um sich zu ihr zu setzen. Auch hatte er ihr zugehört und sie frei reden lassen; eine Gunst, welche sie, wie sie sich im Nachhinein eingestehen musste, etwas überreichlich in Anspruch genommen hatte. Wie anders hingegen heute. Er erschien ihr ferner denn je. Die Schuld daran trug eindeutig der Gentleman, der zu ihrer Linken saß. Roman St. Leger.
Madeline wusste nicht so recht, was sie von ihrem Tischnachbarn halten sollte, der über formvollendete Manieren und über ein Lächeln verfügte, das nie seine Augen zu erreichen schien.
Die St. Legers strahlten, angefangen von Anatole bis zu Caleb, dem Jüngsten in der Runde, etwas aus, das ebenso unvergesslich war, wie nicht von dieser Welt zu sein schien. Und genau das besaß Roman offensichtlich nicht. Irgendwann bemerkte ihr Tischherr, dass er von ihr angestarrt wurde. Ihre Blicke trafen sich, und er fragte: »Soll ich den Kopf drehen, liebe Cousine, damit Ihr auch mein linkes Profil studieren könnt?«
»Oh, äh, nein.« Sie senkte den Kopf und errötete. »Aber Ihr habt mich mit einem leichten Stirnrunzeln betrachtet. Gibt es irgendetwas an mir, das Euch verwirrt, meine Liebe?«
O ja, eine ganze Menge, hätte sie am liebsten geantwortet. Zum Beispiel, warum Anatole sich gesträubt hatte, diesen Vetter zu der Familienfeier einzuladen? Oder warum alle St. Legers so aufgebracht gewirkt hatten, als Roman verkündete, er wolle Lost Land wieder aufbauen lassen? Oder was es mit ihm und seinem Freund Yves auf sich hatte? »Tut mir Leid«, antwortete sie jedoch statt dessen. »Es war sehr ungehörig von mir, Euch so zu fixieren.«
»Überhaupt nicht. Ein Mann fühlt sich sehr geschmeichelt, das Objekt des Interesses von einem Paar so smaragdgrüner Augen zu sein.«
Madeline hatte auf solche Komplimente immer unsicher reagiert, und auch das Flirten fiel ihr schwer. Ihre Schwester Louisa hätte sicher gewusst, wie sie darauf reagieren musste - und vermutlich die Gelegenheit gern genutzt, ihren Gatten mal wieder richtig eifersüchtig zu machen. Die junge Frau aber hütete sich davor, mit Anatole ein solches Spiel zu betreiben; denn wo keine Liebe war, konnte auch keine Eifersucht entstehen. Außerdem schien die Feindschaft zwischen ihm und Roman sehr alt zu sein und ihre Ursache in etwas zu haben, was er ihr, wie so vieles andere, nicht mitteilen wollte.
»Eure Augen ähneln tatsächlich Smaragden«, fuhr ihr Tischherr unnachgiebig fort. »Vielleicht aber auch Jade.«
»Nein, sie sind weder noch, sondern einfach nur grün!«
»Oh, verzeiht, haben meine Komplimente Euch in irgendeiner Weise beleidigt?«
»Nein, aber ich würde es begrüßen, wenn Ihr aufrichtig und vernünftig mit mir sprechen würdet.« Romans Augenbrauen zogen sich zusammen, und sie wusste, dass sie wieder einmal viel zu direkt gewesen war. Aber dann lachte er. »Oh, ich verstehe, Mylady ist ebenso klug wie schön.«
Er lehnte sich zurück und wechselte tatsächlich das Thema. Madeline musste ihm zugestehen, dass er durchaus charmant Konversation zu treiben verstand, als er mit ihr über London, die neue Theater-Saison und einige andere gemeinsame Interessen parlierte.
Als der zweite Gang gereicht wurde, empfand Madeline es als angemessen, ihrem Tischherrn zur Rechten, Yves, ihre Aufmerksamkeit zu widmen; vor allem, weil der Rest der Tafel sich überhaupt nicht um den Franzosen kümmerte. Mr. Fitzleger, der Einzige, der bislang Interesse an ihm gezeigt hatte, saß leider viel zu weit weg neben Anatole. Rochencoeur schien zu der Sorte Dandy zu gehören, der sie in London tunlichst aus dem
Weitere Kostenlose Bücher