St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
konnte. Mit jeder neuen Wehe ließen ihre Kräfte ein wenig mehr nach.
Ich werde sterben, dachte die junge Frau und schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. Nicht um sich selbst wollte sie weinen, sondern wegen der Kleinen, die sie allein zurücklassen musste. Wegen des Neugeborenen, wenn es denn leben sollte, sowie um Janey, Tom, Sam und Aggie. Was sollte nur ohne Mutter aus ihnen werden? Verloren im Nebel ihres Unglücks, bekam Carrie nur am Rande mit, wie Sarah sich vom Bett entfernte und heftig mit jemandem flüsterte, der in die Kammer zu gelangen versuchte. Aller Wahrscheinlichkeit nach der kleine Tom, der heulend zu seiner Mama wollte. Bei Gott, Carrie wollte nicht, dass eines ihrer Kinder sie so sähe. Unter großen Anstrengungen konnte sie den Kopf zur Seite drehen, um einen Tadel auszusprechen. Flatternd öffnete sie die Lider, und schon stockte ihr der Atem...
Da stand nicht Tom auf der Schwelle, sondern ein Mann, der den Geruch von frischer Herbstluft mitbrachte. Seine kräftigen Schultern wurden von dem schweren Mantel noch zusätzlich betont, sodass er insgesamt düster wie der Gevatter Tod selbst wirkte.
Carrie erstarrte vor Furcht, als der Fremde näher trat. Seine schweren Stiefelschritte hallten laut und unregelmäßig wider. Bevor die werdende Mutter einen Schrei ausstoßen konnte, nahm der Fremde jedoch schon Mantel und Biberfellhut ab und reichte beides Sarah. Das Sonnenlicht fiel durch die schmutzige Fensterscheibe auf sein Gesicht. Nichts Böses ging von ihm aus. Im Gegenteil, er hatte die Züge eines normalen Sterblichen. Das vom Wind zerzauste, schwarze Haar und noch mehr die schweren dunklen Augenbrauen wirkten zu hart für seine blasse Gesichtsfarbe. Und seine Adlernase stand im Widerspruch zu seinem sinnlich geschwungenen Mund ...
Aber ein Blick in das Antlitz dieses Mannes reichte aus, um zu erkennen, dass es sich bei ihm um einen guten und freundlichen Menschen handelte. Seine Körperkräfte wurden von seiner Sanftheit im Zaum gehalten. Carries Ängste lösten sich in einem Seufzer der Erleichterung auf.
»Ihr seid es, Dr. Leger«, flüsterte sie. »Dann konntet Ihr also doch noch kommen.«
»Natürlich, Carrie.« Er lächelte ihr zu. Es war kein auffälliges Lächeln, er zog lediglich die Mundwinkel etwas hoch, und das kennzeichnete ihn als jemanden, der nicht leicht zur Heiterkeit neigte.
Mit sanftem Tadel in der Stimme fragte er nun: »Warum habt Ihr nicht früher nach mir geschickt?« »Ich hätte Euch gar nicht rufen dürfen, denn ich ... ich habe nicht viel Geld ...«
»Davon will ich jetzt nichts hören, denn das spielt keine Rolle.«
Als er einen Stuhl heranzog, um sich neben sie ans Bett zu setzen, befeuchtete Carrie sich die Lippen und sprudelte alles heraus, bevor die nächste Schmerzwoge sie überkam: »Es ist ja nur, weil es diesmal so lange dauert, und - und überhaupt tut es diesmal so furchtbar weh und ich bin so erschöpft, und ...«
Sie konnte nur noch schluchzen. Nach einem Moment dann: »Ihr seid der Einzige, der mir helfen kann, Dr. Leger, der Einzige!«
»Und genau das werde ich auch tun, Carrie. Keine Bange, jetzt wird alles wieder gut.«
Er klang so beruhigend und so überzeugend, dass die werdende Mutter ihm glaubte. Auch wenn ihr Mann Reeve furchtbar wütend werden würde, wenn er erfuhr, dass sie den ortsansässigen Arzt gerufen hatte.
Dabei erschrak sie im Nachhinein selbst darüber. Valentine St. Leger war der jüngste Sohn des allseits gefürchteten Herrn von Burg Leger, Lord Anatole St. Leger, einem Mann, von dem Gerüchte wissen wollten, dass er von einem Zauberer abstamme. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, dass alle St. Legers etwas Dämonisches an sich hätten.
Aber wenn sie Valentine jetzt so betrachtete, konnte sie in seinen ernsten Zügen nichts Teuflisches ausmachen. Er besaß viel eher die Augen eines Engels, warm und mitfühlend und in Kenntnis allen menschlichen Leidens blickten sie in die Welt. Und das war kein Zufall, denn der Arzt hatte selbst auch Kummer und Schmerzen kennen gelernt.
Carrie geriet in Panik, als die nächste Wehe sich ankündigte ... bis sich seine starke Hand über der ihren schloss. »Keine Angst, Carrie«, erklärte er. »Seht mich an, und haltet Euch an mir fest.«
Die Luft drohte ihr im Hals stecken zu bleiben, aber sie bemühte sich nach Kräften, seiner Aufforderung nachzukommen. Carrie ergriff eine seiner Hände und blickte ihm in die bemerkenswerten Augen mit ihrem samtigen
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