St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
Gabe sehr haushalten musst. Sie raubt dir deine letzten Kräfte und ist auch sonst sehr gefährlich!«
»Ach was, gefährlich«, schnaubte der Arzt. »Mein Vater konnte einen Mann mit einem Augenaufschlag quer durchs Zimmer schleudern. Das nenne ich gefährlich. Genauso wie das Talent meines Bruders, seine Seele vom Körper zu trennen und des Nachts auf Wanderschaft zu gehen. Wenn man dagegen meine Fähigkeit nimmt, anderen den Schmerz abzunehmen, so ist das doch vergleichsweise harmlos.«
»O ja, diese harmlose kleine Spielerei hat dich ja auch erst ein Bein gekostet!«
Valentine zuckte zusammen. Das eine Mal, als er die Gewalt über seine besondere Begabung verloren hatte, hatte ihn das mehr als nur sein Bein gekostet - nämlich beinahe auch noch seinen Bruder. Lance und er waren sich seit jenem Tag auf dem Schlachtfeld in Spanien fremd gewesen und hatten nichts mehr miteinander anfangen können. Dieser Riss hatte sich erst in den letzten Jahren wieder kitten lassen.
Der Arzt ließ sich nicht gern an diese dunkle Zeit erinnern, und das wusste Kate auch. Aber wenn die junge Dame sich ärgerte oder sich sonst wie aufregte, konnte sie ihre Zunge nicht mehr im Zaum halten. Und im Moment traf wohl beides zu.
Valentine hatte ihr schon mehrfach versichert, dass sie sich deswegen keine Sorgen machen müsse, aber anscheinend musste man ihr das immer wieder sagen. »Kate, ich verspreche dir, dass ich mittlerweile sehr vorsichtig darin bin, wie und wann ich meine besonderen Kräfte einsetze. Aber heute blieb mir einfach keine andere Wahl.«
»Ach, das sagst du doch jedes Mal!« »Diesmal stimmt es aber«, erwiderte er lächelnd, »denn Mrs. Trewithan wäre höchstwahrscheinlich gestorben, wenn ich ihr nicht geholfen hätte. Sie hatte einfach keine Kraft, keine Reserven mehr. Die arme Frau war ja nie besonders stark, und vom vielen Kinderkriegen ist ihr Körper richtig ausgelaugt.«
»Nur weil ihr Mann so ein widerlicher Wüstling ist! Man sollte ihm den Schmiedel mit einem rot glühenden Messer abhacken!«. »Kate!«
»Verzeiht, mein Herr, ich habe mich wohl vergessen. Unschuldige junge Damen sollen ja von solchen Dingen keine Ahnung haben. Nur war ich leider nie so richtig unschuldig«, fügte sie traurig hinzu. Man wusste nur wenig über Kates Zeit vor ihrer Adoption. Doch allem Anschein nach hatte sie mehr von den dunklen Seiten des Lebens kennen gelernt, als das einem Kind gut tun kann. Wenn ihr Erinnerungen an diese Jahre hochkamen, verdrängte sie die rasch, weil sie das alles vergessen wollte.
Doch manchmal entdeckte der Arzt in ihren Augen eine Weltverdrossenheit, bei der ihm das Herz schwer wurde. Er drückte ihren Kopf sanft an seine Brust. Schweigend ritten sie weiter, und ihre Körper wurden im Gleichklang des Trotts des alten Vulkan durchgerüttelt.
Aber Kate hatte noch nie eine Sache auf sich beruhen lassen können, ohne das letzte Wort gehabt zu haben. »Eines will ich dir dringend sagen, Valentine St. Leger: Wenn ich einmal hochschwanger sein sollte, werde ich dir nicht gestatten, meine Schmerzen zu übernehmen. Ich bin nämlich stark genug, das ganz allein durchzustehen.« Der Arzt musste an sich halten, um nicht zu lachen. Die Vorstellung, diese wilde Kate würde sich tatsächlich mit jemandem verehelichen und dann auch noch die Mutter von Kindern werden, erschien ihm einfach zu - Nein, nicht lächerlich oder absurd. Jedenfalls nicht so, wie er das im ersten Moment gedacht hatte. Die Heiterkeit verging ihm, denn er wusste nur zu gut, dass die Zeit schnell dahinflog. Viel schneller, als ihm das lieb war, würde Kate in die Welt hinausgehen, einen netten jungen Mann kennen lernen und ihre eigene Familie gründen. So war es recht, und so war der Lauf der Dinge - aber dennoch erfüllte ihn der Gedanke mit ebenso großer wie unerklärlicher Betrübnis.
Valentine hielt Kate den Rest des Wegs an sich gedrückt. Vulkan trug sie auch ohne Anweisung zum Stall hinter dem neuen Flügel von Burg Leger - ein Anwesen im Stil des englischen Rokoko, das so gar nicht zu der alten Burg aus dem dreizehnten Jahrhundert passen wollte. Die viereckigen Stallungen wirkten fast so beeindruckend wie das Herrenhaus selbst. Im Erdgeschoss fand sich genug Platz, um zwanzig Jagdpferde, Stuten und Kutschpferde unterzubringen; dazu Vorratsräume und das Kutschhaus. Im ersten Stock befanden sich der Heuschober und die Schlafstellen für die Scharen von Pferdepflegern und Stallknechten auf Castle Leger. Auf dem Stallhof herrschte
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