ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten
Scheunentor und starrte nach draußen. Die Farbe des Himmels war nun ein schäbiges Grau, doch von dort, wo sie stand, konnte sie bereits helle Sonnenstrahlen sehen, die auf der anderen Seite des Tals durch die Wolken brachen. Der Regen kam mittlerweile nur noch in kleinen, weit verteilten Tropfen. Wie es zu dieser Jahreszeit üblich war, hatte der heftige Schauer nur ein paar Minuten gedauert, aber dennoch für Abkühlung gesorgt. Die Luft roch nach Blitzen, ein Geruch, der an erhitztes Metall erinnerte.
Lynn wartete, bis der Regen aufgehört hatte, und ging dann Richtung Haus. Phil würde erst in ein paar Stunden von der Mühle zurückkommen, daher hatte sie noch etwas Zeit für sich, bevor sie anfangen musste, das Abendessen zu kochen. Sie konnte sich also endlich diesem Roman widmen, den sie sich vor Monaten von Mrs. Slattery geliehen hatte. Der Lehrerin zufolge erzählte
Die gute Erde
die Geschichte einer Bauernfamilie. Allerdings spielte sie nicht in Amerika, sondern in China. Auch wenn Lynn meist nicht viel Zeit für Bücher hatte, las sie gern, besonders über exotische Menschen und Orte, von denen sie wusste, dass sie niemals die Gelegenheit haben würde, sie selbst zu besuchen.
Als sie sich der Veranda näherte, blieb Lynn stehen, um sich auf dem Gras den Schlamm von den Stiefeln zu wischen. Plötzlich bemerkte sie eine Gestalt, die den Weg entlangkam, der an ihrem Haus vorbeiführte. Sie versuchte zu erkennen, um wen es sich handelte. Phil würde in ihrem Laster nach Hause kommen, und selbst wenn der Wagen unterwegs liegengeblieben war und er laufen musste, würde er aus Richtung der Stadt kommen, die genau entgegengesetzt lag. Abgesehen davon führte die Tindal’s Lane nicht wirklich irgendwohin. Man erreichte auf diesem Weg lediglich ein paar verlassene Bauernhäuser weiter unten im Tal. Die Einheimischen gingen manchmal dorthin, um in den zerfallenen Häusern und Scheunen nach etwas Brauchbarem zu suchen, doch das würden sie kaum zu Fuß tun.
Neugierig beobachtete Lynn, wie der Mann näher kam. Irgendwann wurde ihr klar, dass sie ihn nicht kannte. Sie konnte sein Gesicht zwar noch nicht erkennen, aber seine Art zu gehen war ihr völlig fremd und passte zu niemandem aus dem Ort. Er bewegte sich im Schneckentempo vorwärts und humpelte stark. Als er sich endlich dem Haus näherte, sah sie, dass er außerdem ein kleines Bündel über der Schulter trug.
Ein Landstreicher
, dachte sie und fragte sich, ob er wohl mit einem Güterzug gefahren und dann irgendwo in der Nähe abgesprungen war. Die Schienen verliefen nicht weit vom Ende der Tindal’s Lane, und sie hatte gleich nach Sonnenaufgang eine Dampfpfeife gehört. Innerhalb der letzten Jahre waren einige Fremde in der Stadt aufgetaucht. Meist hatten sie nach Arbeit gesucht. Sie wurden nie besonders herzlich empfangen, und keiner von ihnen war je lange geblieben.
Ein Mann
hatte
allerdings einen Eindruck in der Stadt hinterlassen, erinnerte sich Lynn. Nachdem er Hayden eines Nachmittags verlassen hatte, war er in der Nacht heimlich zurückgekommen und hatte versucht, das Geschäft für Saatgut und Futtermittel auszurauben. Der Besitzer, Gregg Anderson, hatte ihn dabei erwischt, und es war zum Kampf gekommen. Es war Gregg zwar irgendwann gelungen, den mutmaßlichen Dieb zu vertreiben, doch während des Handgemenges war eine Lampe umgeworfen worden, und der Laden hatte Feuer gefangen. Die Männer der Stadt konnten es recht schnell löschen, aber trotzdem verbrannten ein Dutzend Getreidesäcke und ein Teil einer Wand. Gregg hatte die Wand mittlerweile neu aufgebaut, aber eine Stelle war immer noch schwarz.
In Anbetracht dieses Vorfalls und der allgemeinen Vorbehalte, die die Leute im Ort Fremden gegenüber hatten, dachte Lynn kurz darüber nach, ins Haus zu laufen und Phils Gewehr zu holen. Doch Fremde störten sie nicht so sehr, wie es bei den anderen Einheimischen der Fall sein mochte. Und sofort das Schlimmste über jemanden anzunehmen, bevor man ihn überhaupt kennengelernt hatte, erschien ihr nicht besonders christlich. Daher winkte sie dem Mann, sobald er sich in Hörweite befand, und rief: »Hallo!«
Der Mann blieb mitten auf der Straße stehen und schaute sich um. Sie sah, dass er kurzes dunkles Haar hatte. Als er sie entdeckte, erwiderte er ihren Gruß: »Ebenfalls hallo!« Er winkte nicht zurück, setzte sich aber wieder in Bewegung. Er trottete an der Seite der Tindal’s Lane entlang, und als er den Hof erreichte, sah Lynn, dass sein
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