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ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten

Titel: ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David R. George III
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zeugte von Schlaflosigkeit oder vielleicht auch Leid. Selbst seine sonst so strahlenden blauen Augen schienen ihr Licht hinter den schlaffen Lidern zu verbergen.
    Der Mann benutzte seinen eigenen Bleistift, um eine Liste der Zeitungen anzufertigen, die er lesen wollte. Petra legte einen kleinen Papierschnipsel in
Große Erwartungen
, damit sie später noch wusste, an welcher Stelle sie ihre Lektüre unterbrochen hatte, und verstaute das Buch auf einer Ablage unter dem Tresen. Dann faltete sie die Hände und wartete, bis der Mann fertig war.
    Als er seine Liste beendet hatte, schob er das Formular über den Tresen. »Danke, Ma’am«, sagte er und griff umgehend nach einem zweiten Formular. Von seinen vorherigen Besuchen wusste Petra, dass der Mann nach dem Lesen der ersten drei Zeitungen, die sie für ihn heraussuchte, sofort drei weitere anforderte. Jeder Kunde durfte immer nur höchstens drei Zeitungen auf einmal ausleihen, daher musste der Mann mehrere Formulare ausfüllen.
    »Ich bin gleich wieder da, Sir«, sagte sie und verschwand mit dem Formular im Magazin. Da der Mann wie üblich nach den neuesten Sonntagsausgaben verlangte, brauchte sie nicht lange, um die drei Zeitungen herauszusuchen. Kurz darauf trug sie die gestrige Ausgabe der
New York Times
sowie die Wochenendausgaben der
Times-Picayune
aus New Orleans und des
Philadelphia Enquirer
zum Tresen. Er dankte ihr erneut und klemmte sich die Zeitungen und seinen Schreibblock unter den Arm.
    Als der Mann auf einen der schmalen Tische zuging, die den Lesebereich umgaben, bemerkte Petra eine leichte Krümmung seiner Schultern sowie die Langsamkeit seiner Bewegungen. Sie dachte an seine ersten Besuche im Zeitschriftenlesesaal zurück und erinnerte sich daran, dass er damals wesentlich lebhafter und fröhlicher gewirkt hatte. Petra vermutete, dass ein langer Arbeitstag – oder in Anbetracht der zunehmenden Arbeitslosigkeit vielleicht auch der Mangel an Arbeit – für die traurige Erscheinung des Mannes an diesem Abend verantwortlich sein musste. Da sie sich noch gut an die ersten paar Male erinnerte, als er zu ihr an den Tresen gekommen war – stets mit einem Lächeln auf den Lippen und voller Tatendrang –, war sie sich recht sicher, dass sein Leben vor Kurzem sehr viel schwerer geworden sein musste. Das galt natürlich für viele Leute, denn jeden Tag gab es weniger Arbeitsplätze, und die Banken brachen eine nach der anderen zusammen.
    Doch als Petra beobachtete, wie der Mann in die andere Ecke des Raumes ging, die Zeitungen ablegte und sich hinsetzte, um sie zu lesen, dachte sie, dass er eigentlich nicht den Eindruck von jemandem erweckte, der einfach nur unter einem persönlichen Rückschlag litt. In letzter Zeit hatte sie wahrlich genug arbeitslose Männer gesehen, um zu wissen, wie völlige Verzweiflung aussah. Aber bei diesem Mann war es etwas anderes – etwas Schlimmeres. Seine ganze Körperhaltung ließ es so wirken, als würde er die Last der Welt auf den Schultern tragen.
    McCoy studierte eine weitere Seite der umfangreichen Kleinanzeigen, und die Anstrengung ließ seine Augen müde werden. Er hatte an diesem Abend bereits fünf andere Zeitungen durchsucht, von denen eine, genau wie die, die jetzt vor ihm lag, in einer Sprache geschrieben war, die er weder sprechen noch lesen konnte. Nach einem Tag anstrengender körperlicher Arbeit konnte er sich kaum wach halten. Er hatte einer Gruppe Straßenarbeiter dabei geholfen, Ampeln aufzubauen, und sich dafür mit einer Spitzhacke und einer Schaufel durch Beton und harte Erde gegraben. Trotz der anhaltenden Schmerzen in seinen Muskeln war er in der letzten halben Stunde ein paarmal eingenickt. Immer wieder sank sein Kopf nach vorn, und seine Augenlider wollten sich mit aller Macht schließen. Er musste sich regelrecht zwingen, wach zu bleiben. Als ihn die Müdigkeit nun erneut überkam, legte er die Zeitung beiseite und stand auf. Er streckte sich, gähnte und rieb sich die Augen, obwohl er wusste, dass ihm das auch nicht helfen würde, sie länger offen zu halten. Er trat ans Fenster und schaute auf die Fifth Avenue hinaus. Die Nacht hatte sich bereits über die Stadt gelegt. Mit dem herannahenden Herbst wurden die Tage immer kürzer. Doch selbst in den letzten Tagen des Septembers hielt das Licht der Straßenlaternen die Dunkelheit jede Nacht in Schach.
    Direkt links vor sich entdeckte McCoy eine der zwei Löwenstatuen, die majestätisch zu beiden Seiten des Haupteingangs der Bibliothek ruhten. Der

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