Staatsverschuldung
Maßnahmen zur haushalts- und wirtschaftspolitischen Koordinierung ergriffen. Die Rettungsmaßnahmen der EU erörtern wir im Detail im dritten Abschnitt des nächsten Kapitels. Insgesamt laufen diese Maßnahmen auf eine stärkere Koordinierung der Finanzpolitik der Mitgliedstaaten hinaus, also eine Zunahme der budgetpolitischen Entmachtung der nationalen Parlamente, oder zumindest auf eine Selbstbindung der Mitgliedstaaten hinsichtlich des Ausgleichs der öffentlichen Haushalte. Welche Alternativen es zu diesem Vorgehen geben könnte, erläutern wir im nächsten Kapitel, nachdem wir die bestehenden Möglichkeiten zur Begrenzung der staatlichen Schuldenaufnahme kennengelernt haben.
V. Auf der Suche nach Auswegen
1. Staatliche Schuldengrenzen
Will man angesichts der negativen Folgen der Staatsverschuldung diese wirksam begrenzen, so muss man die Grenzen der staatlichen Verschuldung in Form von Schuldengrenzen in der Verfassung eines Landes verankern. Im Extremfall kann einesolche Schuldengrenze vorsehen, dass das staatliche Budget jederzeit ausgeglichen sein muss, also de facto ein Verbot der Schuldenaufnahme des Staates zur regulären Haushaltsfinanzierung festgelegt wird. Eine solche Regelung wäre – abgesehen von den politischen Schwierigkeiten, diese durchzusetzen – nur sinnvoll, wenn man jegliche Begründung für staatliche Verschuldung ablehnt. Akzeptiert man jedoch grundsätzlich die Richtigkeit und Notwendigkeit einer begründeten Schuldenfinanzierung bestimmter staatlichen Ausgaben (die Argumente dafür haben wir in Kapitel II diskutiert), dann geht es bei Schuldengrenzen darum, das Ausmaß respektive den Einsatz der Verschuldung sinnvoll zu begrenzen. Bei diesen so genannten numerischen Haushaltsregeln gibt es
– statische Defizitregeln, die eine feste Obergrenze für die jährliche Schuldenaufnahme vorsehen (ein Beispiel dafür ist die 3-Prozent-Defizitgrenze des bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakts für den Euro-Raum),
– dynamische Defizitregeln, welche die zulässige Defizitgrenze von der aktuellen Konjunktursituation abhängig machen (beispielsweise die Regelungen des Artikel 115 Grundgesetz, siehe unten), und
– Schuldenregeln, die nicht auf das jährliche Defizit, sondern auf den Schuldenstand abstellen (wie beispielsweise die 60-Prozent-Schuldenregel des bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakts für den Euro-Raum). Diese Regelungen erlauben größere Flexibilität in den jährlichen Defiziten.
Darüber hinaus existieren auch
– objektorientierte Schuldenregeln, die auf die Verwendung der aufgenommenen Schulden abstellen (beispielsweise die weiter unten vorgestellte «Goldene Regel»), indem sie die Zulässigkeit der Kreditfinanzierung an bestimmte Ausgabenkategorien binden, sowie
– Ausgabenregeln, die nicht das Defizit oder den Schuldenstand begrenzen, sondern die Ausgaben des Staates. Wer neue Ausgaben tätigen will, muss zugleich festlegen, wie diese zu finanzierensind. Solche Regeln haben den Vorteil, dass politischer Druck, zusätzliche Einnahmen für eine Ausweitung der Gesamtausgaben zu verwenden, ins Leere läuft. Zudem hofft man, dass sich durch solche Regelungen das prozyklische Ausgabenverhalten in Ländern verringern lässt[ 63 ].
In der Bundesrepublik Deutschland war bis zur Neuregelung durch die Föderalismusreform II im Jahr 2009 die Grenze für die staatliche Neuverschuldung in Artikel 115 des Grundgesetzes objektorientiert definiert: Die Nettokreditaufnahme sollte die Ausgaben für Nettoinvestitionen nicht überschreiten. Ähnliche Regelungen lagen auch den deutschen Länderhaushalten zugrunde. Diese Regeln basieren auf Überlegungen zu einer investitionsorientierten Verschuldung, die wir in Kapitel II.1 erörtert haben. Ökonomen sprechen von der
«Goldenen Regel» der Staatsverschuldung,
nach der Staatsverschuldung als Finanzierungsinstrument akzeptabel ist, wenn sich die staatliche Netto-Vermögensposition durch die Neuverschuldung nicht verschlechtert – jeder Neuverschuldung für ein Investitionsobjekt steht der Erwerb eines Vermögensgegenstands mit gleichem Wert gegenüber.
Obwohl die Goldene Regel leicht nachvollziehbar ist und überzeugend klingt, versagte Artikel 115 GG in der Praxis aus mehreren Gründen:
– Der Investitionsbegriff wurde nie eindeutig definiert. Die jeweilige Regierung erhöhte ihre Verschuldungsmöglichkeiten dementsprechend, indem sie den Investitionsbegriff sehr weit fasste.
– Ausnahmen von der Regel des Artikels 115 GG
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