Staatsverschuldung
waren zulässig und zwar «... zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts». Diese dynamische Ausnahmeregelung fußt auf den Überlegungen zur antizyklischen keynesianischen Konjunkturpolitik (vgl. Kapitel II.2) und ist damit grundsätzlich sinnvoll. Allerdings wurde auch dieser Ausnahmetatbestand nie exakt definiert. Das hat willkürlichen Überschreitungen der Verschuldungsregel, die man miteiner Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes begründete, Tür und Tor geöffnet. Seit der Einführung von Artikel 115 GG im Jahr 1969 wurde bis 2010 lediglich in 24 von 41 Jahren
kein
gesamtwirtschaftliches Ungleichgewicht diagnostiziert [ 64 , 65 ].
– Die Regeln des Artikel 115 GG wirkten asymmetrisch über den Konjunkturzyklus: Bei der Feststellung eines gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts war die Nettokreditaufnahme nicht begrenzt, aber dem stand keine Verpflichtung zur Rückführung dieser Defizite im Aufschwung gegenüber.
Das Ergebnis dieser unzureichend definierten Verschuldungsregel war, dass die Verschuldungsgrenzen in Artikel 115 GG kaum eingehalten wurden. Zwischen 1991 und 2005 zählten Ökonomen 68 Verstöße gegen Art. 115 GG respektive die entsprechenden Ländervorschriften[ 63 ]. Juristische Konsequenzen hatte das für die jeweiligen Regierungen nicht
[ 66 ].
Der Misserfolg des alten Artikels 115 GG äußert sich nicht zuletzt im kontinuierlichen Anstieg der deutschen Staatsverschuldung (vgl. Abbildung 2). Um eine wirksame Schuldenbremse zu implementieren, wurde schließlich auch von politischer Seite eine Änderung des Grundgesetzes angestrebt. Mit dem Haushaltsjahr 2011 gilt die im Rahmen der Föderalismusreform II eingeführte neue Verschuldungsregel für den Bundeshaushalt
(Schuldenbremse)
, welche die Regelungen des bis 2009 geltenden Artikels 115 Grundgesetz durch Neufassung der Artikel 109 und 115 GG ersetzt[ 67 ].
Diese Schuldenbremse besteht aus mehreren Elementen[ 68 ]. Um eine langfristige tragfähige Entwicklung des Bundeshaushalts zu sichern, gilt erstens ab 2016 eine Obergrenze für die zulässige strukturelle Nettokreditaufnahme von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (die so genannte Strukturkomponente). Diese strukturelle Neuverschuldung soll unabhängig von der aktuellen Konjunkturentwicklung zur dauerhaften Stärkung von Wachstum und nachhaltiger Entwicklung dienen. Diese Regelgrenze darf nicht durch die Einrichtung neuer Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung überschrittenwerden. Für die Jahre bis einschließlich 2015 ist eine Übergangsregelung vorgesehen, welche die Strukturkomponente in gleichmäßigen Schritten auf den Zielwert von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2016 zurückführt.
Weiterhin werden die Einnahmen und Ausgaben des Staates um finanzielle Transaktionen bereinigt (Saldo der finanziellen Transaktionen). Das sind nicht vermögenswirksame Einnahmen und Ausgaben. Beispiele dafür sind Einmalerlöse aus Privatisierungen (hier wird nur Vermögen gegen Kassenzugang getauscht, dieser Kassenzugang wird deswegen aus den Einnahmen herausgerechnet), Darlehen an Verwaltungen (diesen Darlehen stehen entsprechende Forderungszugänge gegenüber, weswegen sie bei den Ausgaben abgezogen werden) oder Darlehensrückzahlungen von Verwaltungen (der Rückzahlung steht ein Rückgang an Forderungen gegenüber, also zählen die Rückzahlungen nicht als Einnahmen).
Um eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik zu ermöglichen, sieht die Schuldenbremse außerdem eine Konjunkturkomponente vor. Die Obergrenze für die Nettokreditaufnahme wird in konjunkturell schlechten Zeiten erweitert, muss aber in konjunkturell guten Zeiten wieder eingeschränkt werden – das entspricht dem Konzept einer symmetrischen antizyklischen Konjunkturpolitik im eigentlichen keynesianischen Sinn. Zur Bestimmung der Konjunkturkomponente des Haushalts wird die Produktionslücke (die Differenz zwischen dem tatsächlichen Sozialprodukt und dem Sozialprodukt, das bei Vollauslastung der Produktionskapazitäten möglich wäre) mit der Budgetsensitivität multipliziert (diese gibt an, wie Einnahmen und Ausgaben des Staates auf eine Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität reagieren).
Um die Einhaltung der neuen Schuldenregel sicherzustellen, wird ein Kontrollkonto eingerichtet, das mit einer Ausgleichspflicht versehen ist. Auf diesem Konto werden die jährlichen Abweichungen von der zulässigen Kreditaufnahme festgehalten und aufgerechnet. Bei
Weitere Kostenlose Bücher