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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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nur den Hauch eines Zweifels gehabt hatte, ob seine Entscheidung richtig gewesen war, dann hatte er sich aufgelöst wie Schnee an einem warmen Frühlingstag.
    Er hielt sie fest an sich gepresst, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und rang nach Atem. „Ja“, murmelte er hilflos. „Ich kann es gar nicht glauben.“
    „Was ist passiert? Wo sind wir hier?“
    „Kaldak hat dich entführt. Er wollte dich zu Hel, der Göttin der Unterwelt bringen.“
    „Ich erinnere mich“, sagte Tessa langsam. „Aber nicht daran, was weiter geschah.“
    Nick hielt sie fest. Er musste darum kämpfen, ihr die Wahrheit zu sagen, aber er konnte sie dabei nicht ansehen. Also drückte er ihren Kopf an seine Schulter und streichelte ihr Haar. „Du bist tot. Und damit nicht genug, hat Kaldak alle Spuren deiner Existenz in unserer Welt beseitigt.“
    Er spürte, wie sie in seinen Armen steif wurde. Hastig sprach er weiter. „Aber es wird alles gut. Ich war bei Odin. Alles wird gut. Du kommst wieder zurück und du bekommst dein Leben wieder. Alles wird gut.“
    Da sie schwieg, fasste er sich ein Herz und zog sich ein Stück von ihr zurück, gerade so weit, dass er ihr Gesicht sehen konnte.
    Sie war weiß bis in die Lippen, nur ihre Augen schimmerten so grün wie der Ozean an seiner tiefsten Stelle. „Das hast du für mich getan?“, flüsterte sie betroffen. „Aber ich habe das nicht verdient, ich …“
    „Natürlich hast du das verdient“, unterbrach er sie und streichelte beruhigend ihren Rücken. Dabei nahm er jede Einzelheit in sich auf, die glitzernde Träne, die an ihrer Wimper hing, den vor Erstaunen leicht geöffneten Mund. Er wollte sich ihr Bild für alle Zeiten in seine Erinnerung brennen, um sie nicht zu vergessen, wie Thor gesagt hatte. Es musste ein Schlupfloch geben, um sie bei sich zu behalten … was wussten die Götter schon von der Kraft und der Macht der Liebe? Er durfte sie einfach nicht verlieren. Aber was konnte er tun?
    „Du hast ein Leben voller Glück verdient und du wirst es bekommen“, wiederholte er. „Freya bürgt mit ihrem Wort dafür.“
    Sie biss sich auf die Lippen. „Ich verspreche, dass du es nicht bereuen wirst, Nick. Auch wenn ich lange gebraucht habe, um mir wirklich klar zu werden, was ich für dich fühle, jetzt weiß ich es. Ich liebe dich, ich liebe dich mehr, als ich jemals gedacht habe, einen Menschen lieben zu können.“
    „Dann ist es gut, Tessa, ich liebe dich auch.“ Er presste die letzten Worte heraus, unfähig die Tränen weiter zurückzuhalten. Wieder einmal fühlte er sich schwach und als völliger Versager. Er durfte ihr nicht sagen, dass sie nicht zusammenbleiben würden. Mit diesem Wissen durfte er ihr die Freude nicht vergällen, denn das Endergebnis blieb dasselbe. Diese Last musste er alleine tragen.
    Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Vergiss mich nicht, flehte er lautlos ein ums andere Mal, vergiss mich nicht, so wie ich dich nicht vergessen werde, egal was auch passiert. Egal, wie viele Leben wir leben und wie viele Welten wir durchqueren müssen. Himmel und Hölle und alles, was dazwischen liegt. Vergiss mich nicht, Tessa, vergiss nicht, dass ich dich liebe.
    Er hielt sie so fest, wie er nur konnte, als wollte er sie in sich hineinziehen. Aber es nutzte nichts, denn so plötzlich, wie sie gekommen war, verschwand sie wieder aus seinen Armen. Und er blieb leerer als leer zurück.
     
    „Ist das schön“, flüsterte Skuld ergriffen. „Was für eine Liebe. Was für ein Leid.“
    Verdandi richtete sich auf und rieb sich stöhnend den steifen Rücken. „Ja, wirklich traurig. Und jetzt komm, wir müssen das Schicksal der beiden neu spinnen.“ Sie ging zu ihrem kunstvoll geschnitzten Stuhl aus Zedernholz und setzte sich. Während sie nach ihrer Spindel griff, trat Skuld näher zu Urd.
    „Woher hast du überhaupt den Stachel der Erinnerung, wenn er doch in der Seele des Sterblichen stecken soll?“, fragte sie neugierig.
    „Er ist nach und nach herausgerutscht, als der Sterbliche sich in die andere Frau verliebt hat. Das hat seiner Erinnerung den Schmerz genommen. Aber jetzt werde ich ihn wieder zurückgleiten lassen und er wird den Stachel bis ans Ende seiner Tage fühlen.“ Weder Boshaftigkeit noch Bedauern spiegelten sich in den Worten der alten Frau. Sie waren nichts weiter als eine sachliche Feststellung.
    „Lass mich mal sehen“, bat Skuld die Norne der Vergangenheit mit einem schmeichelnden Augenaufschlag.
    „Sei vorsichtig damit, er ist scharf wie

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