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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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selbst war mit dieser Entscheidung glücklich geworden, noch ihr Vater, der in Sannes Zimmer die Erinnerung an seine Tochter bis zu seinem eigenen Tod wie in einem überdimensionalen Schrein konservierte.
    In den letzten vierzehn Jahren hatte Tessa gelernt, mit dem Fehlen ihrer Schwester zu leben. Sie weigerte sich zurückzublicken. Sie lebte im Hier und Jetzt. Die Vergangenheit sollte nicht ihre Gegenwart bestimmen, diese Maxime war der Leitspruch ihres Lebens. Dennoch hatte sie nie wieder einen Eisbecher mit Himbeer, Zitronen und Bananeneiscreme gegessen.
    Sie zuckte zusammen, als Berit sie sanft an der Schulter berührte. „Und du? Ist bei dir alles in Ordnung? Sie sprach von Sanne, nicht wahr?“
    Tessa nickte. „Es geht gleich wieder. Es kam nur so … so unvorbereitet“, murmelte sie. „Wie kann sie davon wissen?“
    „Wenn sie wirklich das ist, was sie zu sein behauptet …“, sagte Berit langsam. „Zwischen Himmel und Erde soll es bekanntlich mehr Dinge geben als Airbusse und MTV. Vielleicht sollten wir uns mit diesem Gedanken anfreunden.“ Sie lehnte sich an den Fensterrahmen und sah Tessa ins Gesicht. „Sie sprach von meiner Großmutter. Niemand weiß, dass ich zu ihr ein ganz besonderes Verhältnis hatte.“
    „Aber wenn sie keine Reporterin ist und keine Betrügerin, dann bedeutet das auch, dass der Grund warum sie hier ist …“
    „… nicht erfunden ist“, vollendete Berit. „Warten wir ab, was sie uns noch erzählen wird.“
    „Sie ist eine Betrügerin“, ließ sich Hendrik vernehmen und die beiden Frauen sahen zu ihm hinüber. Er war aufgestanden und hatte die Daumen in den Bund seiner Jeans gehakt. „Sie hat einfach irgendwelche Standardfloskeln gebraucht, die für jeden Bedeutung haben. Sie ist so viel Medium wie ich die Reinkarnation von Elvis Presley.“
    Er klang aggressiv, auf eine Art und Weise, die Tessa an ihm noch nicht gehört hatte. Ehe sie etwas sagen konnte, ging Berit zu ihm hinüber. „Ach, komm schon, Hendrik. Nur weil sie gesehen hat, dass ein von dir gehörnter Ehemann, den seine Frau ins Jenseits geschickt hat, sich Hände reibt, während er auf dich wartet, musst du doch nicht in wilde Panik verfallen.“ Sie gab sich nicht die geringste Mühe, den Spott in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Ab einem gewissen Alter hat doch jeder eine Leiche im Keller, das ist ganz natürlich. Und unsere Verstorbenen wachen über unser Schicksal, das steht ohnehin in jedem besseren Esoterikschmöker.“
    Hendriks Gesicht rötete sich. „Du weiß gar nichts“, presste er zwischen den Zähnen heraus, wandte sich ab und verließ das Zimmer.
    Berit blickte ihm überrascht nach. „Und jetzt?“
    „Kopieren wir die restlichen Inschriften der Ketten“, sagte Tessa und ging zum Tisch zurück. „Diese Daria wird uns schon sagen, was sie von uns will. Anscheinend weiß sie, wie das Böse, das über uns lauert, zu besiegen ist. Deshalb kam sie ja hierher – ihren Worten nach.“
    Sie verbrachten die nächsten Stunden in trauter Zweisamkeit mit der Abschrift der Runen und deren Deutung. Keiner von Hendriks Männern ließ sich sehen, Nick Dayton tauchte ebenfalls nicht auf und als Daria erschien, war es bereits früher Abend.
    Sie hatte den Pullover und die Samthose mit einem bodenlangen schwarzvioletten Kaftan vertauscht, der sie umwehte wie eine glitzernde Wolke. An der Schwelle zum Aufenthaltsraum blieb sie stehen, besser gesagt, sie posierte mit einem lässig in die Hüfte gestützten Arm.
    „Kommen Sie doch näher“, rief ihr Tessa zu und beobachtete mit einem Anflug von Belustigung, wie die Frau zu ihr herüber stolzierte – so weit das mit dem Doc Martins ähnlichem Schuhwerk möglich war. Vor dem Tisch blieb sie stehen und erweckte den Eindruck, dass sie darauf wartete, den Stuhl zurecht geschoben zu bekommen. Als das nicht geschah, seufzte sie abgrundtief und zog sich selbst einen heran.
    „Erzählen Sie uns doch genau, was Sie hergeführt hat“, bat Tessa sie auf Norwegisch, damit auch Berit dem Gespräch folgen konnte.
    Die Frau hob die Brauen. „Wie bitte? Ich spreche nur Deutsch und ein bisschen Englisch. Außer meiner Muttersprache Tschechisch natürlich.“
    Tessa beugte sich vor. „Aber vorhin … mit Hendrik und mit Berit … da haben Sie doch Norwegisch gesprochen.“
    „Möglich. Ich gebe die Nachricht der Verstorbenen immer in der Sprache wieder, in der sie an mich gerichtet wird. In diesem Moment bin ich nur das Interface, nichts weiter. Ich muss die Sprache

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