Stachel der Erinnerung
nicht erlernt haben, um die Botschaft zu überbringen.“ Sie lächelte leicht, als sie Tessas Gesicht sah. „Du glaubst noch immer, dass ich eine Betrügerin bin.“
„Was sagt sie?“, mischte sich jetzt Berit ein.
„Sie spricht kein Norwegisch.“
„Aber sie hat doch vorhin …“
„Da war sie nur der Transistor, durch den die Nachricht aus dem Jenseits übermittelt wurde“, erklärte Tessa. „Das Bekämpfen des Bösen fängt schon mühsam an. Ich werde es dir übersetzen.“
Sie blickte die Frau an und entschied sich, völlig ernst zu bleiben. „Entschuldigen Sie meine Unwissenheit, ich hatte noch nie mit einem Medium zu tun.“
„Schon in Ordnung. Wir können uns doch duzen, weder in Englisch noch in Norwegisch gibt es dieses blöde Sie“, fügte Daria hinzu und ihre Augen funkelten spöttisch.
Tessa betrachtete sie unschlüssig. Zu wissen, dass es im Norwegischen kein Sie gab, setzte Kenntnisse der Sprache voraus. Natürlich könnte die Frau das auch irgendwo aufgeschnappt haben und wollte jetzt damit angeben. Oder sie war doch eine Betrügerin, die sich dermaßen sicher fühlte, dass sie mit den Fakten spielen konnte. Warum, um Himmels willen, sah sie nicht aus, wie man sich ein Medium vorstellte? Sondern wie eine Mischung aus Grufti, 80iger Punk und zweitklassiger Operettendiva? Dem ersten Eindruck nach hätte Tessa sie auf Anfang zwanzig geschätzt, doch jetzt, wo sie ihr direkt gegenübersaß, musste sie ihr Urteil revidieren. Die Frau war nur wenig jünger als sie selbst, wenn überhaupt. Was ihr Styling weiter ad absurdum führte. Ohne Piercings, ohne blauschwarz gefärbtes, wild toupiertes Haar und dick umrandete Augen, in halbwegs normalen Klamotten, hätte sie weniger Probleme gehabt, die Leute von ihrer Mission zu überzeugen.
Tessa riss den Blick von den zahllosen Silberringen los, die die Finger ihres Gegenübers schmückten, und versuchte, zum Wesentlichen zurückzukehren. „Also, was genau willst du hier? Was willst du von uns?“
Daria sah sich um. „Zuerst hätte ich gerne was zu trinken. Wie ruft man den Kellner?“, erkundigte sie sich, ohne auf die gestellten Fragen einzugehen.
Tessa kämpfte um Ruhe, noch dazu, weil Berit die Brauen hob und eine eindeutige Geste mit der Hand machte. „Gar nicht. Du wirst dich schon selbst in die Küche bemühen müssen oder zur Rezeption – je nachdem, wo sich der Herr des Hauses gerade befindet.“ Ihre Stimme klang scharf und sie machte sich nicht die Mühe, es zu verbergen. Daria blieb davon allerdings völlig unbeeindruckt. Mit einem gemurmelten Fluch, der sich auf ihre augenblickliche Situation bezog, stand sie auf und verließ den Raum.
„Was macht sie?“, fragte Berit ungeduldig und sah Tessa anklagend an. „Du wolltest doch übersetzen.“
„Es gibt nichts zu übersetzen, weil sie nichts sagt.“ Tessa rieb sich die Stirn. „Sie weicht aus und das nicht einmal besonders elegant. Gerade hat sie erklärt, durstig zu sein, und macht sich auf die Suche nach dem Kellner.“
„Also doch eine Schwindlerin“, stellte Berit fest.
„Die Indizien mehren sich“, gab Tessa zu. „Aber andererseits … was sollte sich jemand von dieser Art Schwindel versprechen?“
„Keine Ahnung. Reporterin ist sie keine. Da kenn ich mich mittlerweile aus. Die sind ganz anders drauf, glaub mir. Die bringen Leute zum Reden, statt sich in kryptischen Äußerungen zu ergehen.“
Sie schwiegen, denn Daria kam zurück und setzte sich wieder auf ihren Platz.
„Keinen Erfolg gehabt?“, konnte sich Tessa nicht verkneifen zu fragen.
„Doch, natürlich. Nick bringt mir gleich etwas. Er macht nur die Bügelwäsche fertig.“ Sie blickte von Tessa zur Berit. „Hättet ihr auch etwas gewollt?“
Tessa drängte das Bild eines am Bügelbrett stehenden Nick Dayton aus ihrem Kopf. „Nein, aber wir sollten uns Gedanken übers Abendessen machen. Berit, was meinst du, sollen wir hier essen oder willst du noch mal raus?“
Berit zog die Nase kraus. „Bei dem Wetter? Kommt nicht in Frage, soll Mister Unbeschreiblich eben die Mikrowelle anwerfen.“
Mister Unbeschreiblich betrat aufs Stichwort den Raum. Er trug ein kleines, ovales Tablett mit einer Teekanne, einer Tasse und einem Zuckerstreuer, das er ohne ein Wort vor Daria auf den Tisch stellte.
Bevor er gehen konnte, sagte Tessa hastig. „Wir werden heute hier zu Abend essen. Mit Daria sind wir …“ Sie begann in Gedanken abzuzählen, aber er war schneller. „Zwölf.“ Die hellen Augen
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