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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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röteten. „Ich bringe Berit zu Bett. Bis … bis morgen“, murmelte sie und zog Berit mit sich. Vor ihrem Zimmer half sie ihr mit dem Schlüssel und führte sie, nachdem die Hürde genommen war, zum Bett. Berit kicherte ein bisschen, wehrte sich aber nicht und rollte sich schließlich mit angezogenen Beinen zusammen.
    Einen Moment lang betrachtete Tessa sie, dann schlich sie auf Zehenspitzen aus dem Raum, und zog die Tür hinter sich zu, nur um wie von tausend Teufeln gehetzt über den Flur zur ihrem eigenen Zimmer zu stürzen, und mit zitternden Fingern den Schlüssel ins Schloss zu stecken.

acht
     
    Im Bad zerrte Tessa hastig und ohne Rücksicht auf abspringende Knöpfe die Kleidungsstücke von ihrem Körper und stellte sich unter die Dusche. Im Stillen verwünschte sie die Tatsache, dass sie weder ein sinnlich duftendes Dusch-Öl noch ein verführerisches Negligé eingepackt hatte. Aber wie hätte sie auch wissen können, dass sie ausgerechnet auf einem kargen Eiland im Eismeer ihren Traummann treffen würde? Also musste der leichte Zitronenduft genügen. Ebenso wie das einfache, knielange Leinennachthemd. Sie föhnte ihr Haar, bis es ihr lässig ins Gesicht fiel. Ihre Hormone tanzten Cha-Cha-Cha und sie konnte es deutlich sehen. Ihre Augen strahlten wie Smaragde, ihre Wangen waren leicht gerötet und sogar ihr Mund wies einen verträumten Schwung auf. Sie blinzelte ihrem Spiegelbild anerkennend zu und nahm ihren kurzen, weißen Seidenkimono vom Bett. Mit dem Türknauf in der Hand atmete sie noch einmal tief durch, und trat auf den Flur.
    Alles war still. Und dunkel, da die Jalousien vor den Fenstern heruntergelassen worden waren. Nur durch einen Türspalt am anderen Ende des Ganges fiel ein Lichtstrahl. Hendrik hatte also vorgesorgt, falls sie seine Zimmernummer vergessen haben sollte.
    Tessa schlich über den Flur und fühlte sich dabei unglaublich verrucht. Der weiche Teppichboden streichelte ihre nackten Fußsohlen – nachdem sie keine High Heels mitgebracht hatte, musste sie wohl oder übel barfuß gehen, denn weder ihre Trekkingstiefel noch die abgewetzten Turnschuhe stellten eine passende Ergänzung zu ihrer Garderobe dar.
    Die paar Schritte kamen ihr vor, wie die Durchquerung der Sahara. Dazu passte auch, dass ihr Mund trocken war, sich auf ihrer Stirn aber kleine Schweißperlen bildeten. Endlich stand sie vor Hendriks Zimmer. Die Tür war nur angelehnt, genau wie sie wegen des Lichtstrahls vermutet hatte. Ihr Herz trommelte ein wildes Stakkato, als sie den Spalt langsam weiter aufdrückte.
    Und dann stoppte ihr Herzschlag ohne Vorwarnung. Mitten im Zimmer – keine fünf Meter von ihr entfernt – stand Hendrik und küsste Berit, als gäbe es kein Morgen.
    Tessa wurde schwarz vor Augen. Sie klammerte sich am Türstock fest, und versuchte Luft in ihre unwilligen Lungen zu pressen. Ihr Herz setzte sich holpernd in Gang und sie taumelte ein paar Schritte zurück auf den Flur.
    Das durfte nicht wahr sein. Wie konnte er … sie … wie konnten die beiden so grausam sein? Wie konnten sie ihr das antun? Tessa zitterte am ganzen Körper. Weg, das war der einzige klare Gedanke. Weg, ehe die beiden sie entdeckten und sie voller Mitleid ansehen würden. Alles, nur das nicht. Alles, nur kein Mitleid. Mitleid war das Einzige, das sie immer und ungefragt bekam. In derart gewaltigen Dosen, dass sie irgendwann daran krepieren würde.
    Sie spürte den Treppenpfosten unter ihrer Hand. Blicklos stolperte sie die Stufen hinunter, rutschte aus, verbiss sich den Schrei, als ein heller Schmerz durch ihr Schienbein fuhr, und klammerte sich am Geländer fest. Dann war sie endlich unten und hastete mit dem aufgeschrammten Bein zum Eingang. Graue Helligkeit fiel durch die Fenster, der Regen hatte aufgehört. Erleichtert packte sie die Klinke. Nur raus hier, frische klare Luft in ihr System pumpen und das Gift loswerden.
    Die Tür war verschlossen. Tessa rüttelte daran, aber sie gab nicht nach. Auch nicht, als sie mit der flachen Hand so heftig an den Rahmen schlug, dass die Scheiben vibrierten. Wieder stiegen bunte Sternchen vor ihr auf und sie begann zu hyperventilieren. Mit letzter Konzentration fixierte sie ihr Spiegelbild in der Scheibe und zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Der stumme Kampf mit dem unsichtbaren Feind dauerte eine Ewigkeit und zehrte an ihrer Kraft. Als ihr Atem wieder gleichmäßig ging, fühlte sie sich wie von einem Güterzug überrollt. Ein letzter sehnsüchtiger Blick nach draußen, dann drehte sie

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