Stachel der Erinnerung
einer Frau«, hatte Matt ihn besänftigt, obwohl er verdammt
gut wußte, warum das Mädchen sich verspätet hatte. Und dann war sie ins Zimmer
getreten. Sie war in einem Hauch von blauer und silberner Seide an ihm
vorübergeschwebt zum Kamin, wo der Marquis auf sie gewartet hatte. Nicht einen
einzigen Blick hatte sie ihm geschenkt, sie war geradewegs zu seinem Vater
gegangen.
Erstaunlicherweise
war Matt ihr dafür dankbar gewesen.
Von dem
Augenblick an, als das Mädchen den Raum betreten hatte, hatte es ihm die
Sprache verschlagen. Er hatte sie nur angestarrt, unfähig, seine Blicke von ihr
loszureißen, von dieser Frau mit dem goldenen Haar und den erstaunlich klaren
blauen Augen, einige Töne heller als die seinen. Vorher, als sie verdattert
und schmutzbesprenkelt in der Pfütze gehockt hatte, hatte er sich nicht die
Mühe gemacht, sie genauer zu betrachten. Heute abend allerdings stellte er
fest, daß sie einige Zentimeter größer war als das schmächtige, aufsässige
Mädchen, an das er sich erinnerte. Ihre jugendliche Unbeholfenheit war einer Anmut
und Schönheit gewichen, die er nur bei sehr wenigen Frauen gesehen hatte.
Ein langer
schlanker Hals erhob sich über glatten, blassen Schultern, ihr üppiges Haar
besaß einen herrlichen, seidigen Goldton. Ihre Brüste füllten prall das Mieder
eines eleganten Kleides,
das genau die gleiche Farbe hatte wie ihre Augen. Ihm war die Anspannung in der
Haltung ihrer Schultern nicht entgangen, doch nichts davon zeigte sich in den
ebenmäßigen Linien ihres Gesichtes. Er hätte die fünfzehn Jahre, die er jetzt
in der Marine diente, dafür gegeben, zu wissen, was sie dachte. Doch Jessie Fox
verstand es genauso gut, ihre Gedanken zu verbergen, wie er.
Als sein
Vater neben ihn trat, kehrte er mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Der
alte Herr reichte ihm das Glas mit Brandy, dann lehnte er sich gegen die Wand
und stützte einen Ellbogen auf den Kaminsims. Heute abend sah er gesünder aus,
seine Wangen hatten mehr Farbe, und er schien energiegeladener zu sein.
»Nun, mein
Junge, was hältst du von ihr?«
Matt
lächelte dünn. »Du sprichst von ihr, als sei sie ein hochgezüchtetes Pferd.
Das Mädchen ist bezaubernd, wenn es das ist, was du wissen willst.«
»Ich habe
dich gefragt, was du von ihr hältst. Sie hat dir gefallen, darauf würde ich
wetten. Wie könnte sie dir nicht gefallen? Das Mädchen strahlt eine solche
Lebenslust und Wärme aus. Wenn sie lächelt, dann ist es, als würde die Sonne
aufgehen.«
Matthew
runzelte die Stirn, als er das Leuchten in den Augen seines Vaters bemerkte,
das immer dann erschien, wenn er von Jessica Fox sprach. Ein häßlicher Gedanke
tauchte in ihm auf.
Er
schwenkte den Brandy in seinem Glas, dann blickte er zu seinem Vater auf. »Vor
ein paar Jahren, als du mir zum ersten Mal von dem Mädchen erzählt hast, habe
ich geglaubt, du würdest sie dazu ausbilden, deine Geliebte zu werden. Damals
hast du mir versichert, das sei nicht so. Hat sich deine Beziehung zu Jessica
verändert? Jetzt, wo ich sie gesehen habe, könnte ich gut verstehen ...«
Die Hand
des Marquis schlug hart auf den Kaminsims. Wie ein Donnerschlag klatschte seine
Handfläche auf den Marmor. »Jessica ist für mich wie die Tochter, die ich nie
gehabt habe. Sie ist freundlich und liebevoll, süß und tugendsam, und meine Gedanken für
sie waren niemals andere als die eines Vaters für sein Kind.«
Matthew
senkte den Kopf. »Es tut mir leid, Vater. Ich wollte weder dich noch das
Mädchen beleidigen.« Es war eigenartig, daß bei den Worten seines Vaters
Erleichterung in ihm aufstieg. Und gleichzeitig mischte sich diese mit der
Vorstellung, daß dieses Mädchen bestimmt eine herrliche Geliebte sein würde.
»Ich bin
ein alter Mann, Matthew. Ich habe mich in letzter Zeit nicht sehr wohl gefühlt.
Du und Jessica, ihr seid alles, was ich auf dieser Welt noch habe. Ihr beide
bedeutet alles für mich. Ihr seid die Zukunft von Belmore, mein Grund, am Leben
zu bleiben.«
Matthew
stand auf. »Mir ist klar, daß du mit mir rechnest, Vater. Ich habe bereits über
meine Entlassung aus dem Militärdienst sowohl mit Cornwallis als auch mit
Admiral Nelson gesprochen. Leider sind sie der Meinung, wie auch ich, daß eine
entscheidende Konfrontation zwischen Frankreich und England auf See
stattfinden wird. Und solange diese Schlacht nicht stattgefunden hat – solange
England nicht sicher ist vor einer Invasion, ist mein Platz an Bord der Norwich. Bis zu dem Zeitpunkt kann
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