Stachelzart
Schlabberhosen und ausgewaschene Shirts. Und zum Einkaufen beim kleinen Supermarkt um die Ecke musste ich mich nicht wirklich aufbrezeln. Auch die abendlichen Einladungen zu irgendwelchen wichtigen Veranstaltungen in Berlin waren seit dem Flop mit „Zitronenherb“ auf ein Minimum geschrumpft, sodass ich schon länger keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, mich schick zu kleiden.
Ob mir noch ein paar elegantere Sachen passen würden? Sonst hätte ich ein richtiges Problem! Ein Urlaub mit Vera in einem Luxus-Wellness-Hotel in Schlabbersachen würde gar nicht gehen.
Ich schaltete meinen Computer aus und beschloss jetzt sofort, meinen Kleiderschrank nach brauchbaren Anziehsachen zu durchsuchen.
Ich ging ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Da, der blaue Hosenanzug, den ich zu meiner ersten Buchbesprechung anhatte, den könnte ich doch mitnehmen. Ich probierte ihn an – und: Er passte nicht mehr!
Vielleicht die weiße Jeans und die türkisfarbene Bluse? Passt nicht mehr! Schwarzes Minikleid? Passt nicht!
Ahhhhh ! Fast alle meine Sachen passten nicht mehr richtig oder wenn sie passten, sah ich darin aus wie eine Presswurst.
Ich fand nur zwei etwas elegantere Outfits, die noch gerade so eben saßen. Vera und ich wollten für sechs Tage verreisen. Zwei Outfits für sechs Tage, das ging gar nicht!
Was sollte ich nur machen? Neue Klamotten kaufen wollte ich eigentlich nicht, denn insgeheim hoffte ich doch, dass ich wieder zu der 36 zurückfinden würde und mein Geld für teure Klamotten in einer Größe auszugeben, die ich gar nicht haben wollte, fand ich deprimierend.
Vielleicht hatte der Secondhand-Laden einige meiner alten Sachen noch nicht verkauft? Unter den Anziehsachen, die ich dort abgeben hatte, waren durchaus ein paar Schmuckstücke gewesen. Überhaupt war Secondhand-Ware wohl eine gute Lösung für meinen momentanen Kleidermangel. Der nette kleine Laden in Kreuzberg hatte eine tolle Auswahl an Klamotten und die Preise waren auch ganz in Ordnung. Und falls ich jemals wieder Kleidergröße 36 haben sollte, könnte ich die Sachen auch wieder zurück bringen.
Ich beschloss jetzt gleich dorthin zu fahren.
Vielleicht hatte Mimi Lust mit zu kommen?
Mimi hieß eigentlich Miriam und war meine beste Freundin, schon seit der Schulzeit. Ich hatte sie auf der Ganztagsschule kennengelernt, auf die Vera mich nach dem Dschungelvorfall schickte. Mimi liebte, genau wie ich, Bücher und wir gingen während den Pausen oft zusammen in die Bücherei. Auch den größten Teil unserer Freizeit haben wir miteinander verbracht, meistens bei ihr, denn Mimi hatte wirklich nette, ausgeglichene Eltern und war immer sehr schockiert, wenn meine Mutter Vera sich in DuH verwandelte. Mimi war wie ich ein Einzelkind und freute sich deshalb darüber, so oft wie möglich mit mir spielen zu können. Obwohl Mimi ganz andere Ansichten als ich hatte, fühlte ich mich mit ihr sehr verbunden, fast wie mit einer Schwester. Mimi war immer die Klassenbeste und wusste schon früh, dass sie irgendwann Anwältin werden würde. Auch Mimis Eltern waren Anwälte. Vera hoffte insgeheim, dass Mimis Berufswunsch irgendwann vielleicht auf mich abfärben würde, aber das war natürlich nicht der Fall. Ich war in unserem Zweiergespann immer die kreative Chaotin und Mimi die organisierte Planerin. So ergänzten wir uns prima.
Optisch ähnelten wir uns allerdings schon ein bisschen. Mimi hatte wie ich blau-graue Augen und war auch relativ klein. Unsere langen braunen Haare passten zu dem jeweiligen Charakter, meine wild und lockig, Mimis glatt und ordentlich. Mimi liebte meine Fantasie, ich liebte ihre Zuverlässigkeit. Während ich mir die tollsten Spiele für uns ausdachte, ließ sie mich immer die Hausaufgaben abschreiben. Und obwohl wir später ganz andere Wege einschlugen, blieben wir immer in Kontakt. Leider hatte Mimi als frisch gebackene Scheidungsanwältin ziemlich viel zu tun. Sie meinte, sie hätte manchmal das Gefühl, halb Berlin würde sich scheiden lassen. Für Mimis Geldbeutel war das gut, aber ich fand es sehr schade, dass wir so wenig Zeit füreinander hatten.
Aber vielleicht konnte sie sich ja heute Nachmittag ein Stündchen freinehmen und mich zu „Klamotten-Story“ , dem Secondhand-Laden begleiten. Ihre Kanzlei war nicht weit davon entfernt. Und außerdem wäre das die letzte Gelegenheit auf ein Treffen, denn schon morgen in aller Frühe ging es los in den Mutter-Tochter-Kurzurlaub... .
Entschlossen griff ich zu
Weitere Kostenlose Bücher