Stachelzart
Fertigessen, aber es geht schnell und ist unter den einfachen Umständen in der Station überaus praktisch. Außerdem bin ich mit dem Beobachten und Zählen der Vögel meistens so sehr beschäftigt, dass das Essen zur Nebensache wird.“
„Das macht doch nichts“, sagte ich. „Ein bisschen Suppe und als Nachtisch ein paar Himbeeren wären großartig. Meinem Magen wäre, glaube ich, gerade alles recht.“
Wenig später hatten wir die Vogelstation erreicht. Das Wort „Station“ war eigentlich übertrieben. Man stellte sich zwangsläufig eine etwas größere moderne Forschungseinrichtung vor. Tatsächlich bestand diese Station aber nur aus einer winzig kleinen Hütte. Sie ähnelte einer Gartenlaube in einem Schrebergarten. Neben der Hütte hatte Henri ein braunes Ein-Mann-Zelt aufgebaut. Und tatsächlich wuchsen einige Meter entfernt wilde Himbeeren. Dieser Ort hatte ebenso wie Sams Grundstück etwas sehr Idyllisches.
„Schön hier und sehr ruhig“, bemerkte ich.
„Das hier ist keine öffentliche Einrichtung, sondern so etwas wie ein Verein vogelinteressierter Menschen. Wenn ich entspannen will und mal wieder in der Natur statt im Labor forschen möchte, komme ich her ,“ erklärte Henri. Er öffnete die Haustüre. „Komm doch rein.“
„Kann man die Türe gar nicht abschließen?“, fragte ich erstaunt.
„Nein, wieso auch. Es kommt sonst niemand. Und was sollte schon gestohlen werden? Jeder, der hier hoch kommt, bringt seine Ausrüstung mit. Außer dem Campingkocher ist nicht wirklich etwas zu holen und den braucht man in normalen Häusern wohl kaum.“
Henri betrat das Häuschen, ich folgte ihm. Er hatte nicht übertrieben. Die ganze Hütte war wirklich winzig und bestand nur aus einem einzigen Raum mit einem Schrank, einem Tisch mit zwei Stühlen, einer Spüle, die sowohl zum Waschen als auch zum Kochen diente und einer kleinen Arbeitsplatte mit dem besagten Campingkocher. Gegen die Vogelstation war Sams Haus ein richtig großer, komfortabler Palast.
„Willkommen in der Vogelstation“, lächelte Henri. „Auf der Rückseite des Hauses ist noch ein WC, das war es dann! Setz dich doch“, er deutete auf einen der Stühle. „Ich koche dir jetzt eine Feinschmeckersuppe.“ Er nahm einen kleinen Topf und eine Dose Hühnersuppe aus dem Schrank, öffnete die Dose und schüttete den Inhalt in den Topf. Dann machte er sich daran, die Suppe auf dem Campingkocher zu erwärmen.
Ich stellte meinen Korb mit den Pilzen neben den Tisch und nahm Platz. Auf dem Tisch lagen einige Unterlagen sowie ein Fernglas und mehrere Objektive für eine Fotokamera. Außerdem Bücher über Vögel und was war das?
Sprüche und Zitate von Christian Morgenstern , las ich auf dem Umschlag des Buches.
„Du liest Morgenstern?“, fragte ich.
„Ja, ich finde, Christian Morgenstern war vielmehr ein Philosoph als ein Dichter. Wenn nur einige Menschen seine Ratschläge befolgen würden, wäre die Welt um ein Vielfaches besser.“ Henri kam näher und schlug eine Seite des Buches auf. Zum Beispiel hier:
„Man sieht oft etwas hundert Mal, tausend Mal, ehe man es zum allerersten Mal wirklich sieht.“ (Christian Morgenstern 1918: Stufen: Eine Entwickelung in Aphorismen und Tagebuchnotizen, Seite 189 (Piper Verlag))
oder:
„Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.“
(Christian Morgenstern 1918: Stufen: Eine Entwicklung in Aphorismen und Tagebuchnotizen, Seite 50 (Piper Verlag))
„Und mir gefallen die Zitate, die er zum Thema Natur gemacht hat“, erklärte Henri und blätterte in dem Buch. „Zum Beispiel diese hier:
„Weh dem Menschen, wenn nur ein einziges Tier im Weltgericht sitzt.“
(Christian Morgenstern 2008: Weisheiten, ISBN 978-3-83347279-4, Seite 196 (BoD – Books on Demand)
oder:
„Ich habe heute ein paar Blumen nicht gepflückt, um dir ihr Leben zu schenken.“
(Christian Morgenstern 1918: Stufen: Eine Entwicklung in Aphorismen und Tagebuch-Notizen, Seite 37 (Piper Verlag))
„Wunderschön!“, nickte ich. Henri schien ein sehr einfühlsamer, naturverbundener Mensch zu sein. Und er mochte Gedichte. Ich hatte bisher noch nicht viel von Christian Morgenstern gelesen, aber das würde ich ändern. Mir gefielen die Zitate sehr gut.
„Manchmal schreibe ich auch kleine Gedichte“, erzählte Henri.
„Wirklich? Verrätst du mir eins?“, fragte ich neugierig.
„Hm, echt? Aber
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